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Partizipative Projekte aus dem Bereich der Japanologie

15. Januar 2023 von Rabia Deveci

Ukraine-Krieg prolongiert Konflikt um die Kurilen-Inseln – Kein Friedensvertrag zwischen Japan und Russland

Japans Beteiligung an den Sanktionen gegen Russland blockiert die seit 1945 ausständigen Friedensverhandlungen. Ein Friedensvertrag zwischen beiden Ländern ist insbesondere für die Lösung des Territorialstreites um die Kurilen-Inseln bedeutend. Die Sanktionen Japans gegen Russland haben zur Folge, dass das russische Außenministerium verkündete, dass die Friedensverhandlungen nicht mehr weitergeführt werden. Der Krieg in der Ukraine und die Ankündigung des russischen Außenministeriums sorgten dafür, dass der Territorialstreit um die Kurilen-Inseln in der Tageszeitung Asahi Shinbun verstärkt diskutiert wurde. Die Berichterstattung der Asahi Shinbun über den Territorialstreit seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine (genauer gesagt im Zeitraum vom 23.02.2022 – 17.06.2022) war Gegenstand meiner Forschung.


©MOFA: In der Karte ist das Territorium, das Japan als sein Hoheitsgebiet betrachtet, rosa markiert. Auch die vier Inseln, die von Japan beansprucht werden, sind rosa markiert. Zur Großansicht klicken.




©Shirokazan via Wikimedia Commons: Eine Tafel in der Stadt Hakodate, die besagt, dass die vier Inseln Habomai, Shikotan, Kunashiri und Etorofu japanisches Territorium seien und zurückgegeben werden sollten.

Wo befinden sich die Kurilen-Inseln?

Die Kurilen-Inseln befinden sich zwischen der nördlichen Grenze von Hokkaido und der südlichen Grenze der Halbinsel Kamtschatka, welche zu Russland gehört. Japan und Russland befinden sich in einem aktiven Territorialstreit um vier der Inseln, nämlich Habomai, Shikotan, Kunashiri und Etorofu. Japan beansprucht diese vier Inseln und besteht darauf, dass sie japanisches Hoheitsgebiet sind und demnach Japan gehören sollten.

Historische Entwicklung des über
70-Jahre alten Territorialstreites

Wem gehörten diese Inseln aber zuerst? Die erste Grenzziehung und Kontaktaufnahme zwischen Japan und Russland erfolgte im Jahr 1855 mit dem Vertrag von Shimoda. Nach der Landesöffnung im Jahr 1853 wollte auch Russland diplomatische Beziehungen mit Japan aufnehmen. Aus diesem Grund wurde Admiral Jewfimi Wassiljewitsch Putjatin im Auftrag des russischen Außenministers nach Japan entsandt. Im Jahr 1855 wurde dann der Shimoda-Vertrag unterzeichnet, in dem die Grenzen bestimmt wurden. Die erste Grenze, die beide Länder trennte, befand sich zwischen den Inseln Etorofu und Urup. Japan besaß daher vier Inseln der gesamten Inselkette, nämlich Habomai, Shikotan, Kunashiri und Etorofu. Diese Tatsache wird von der japanischen Regierung auch als Argument und Begründung dafür verwendet, dass die vier Inseln Habomai, Shikotan, Kunashiri und Etorofu japanisches Hoheitsgebiet sind und somit Japan gehören.

©Anonymer Maler aus Japan (1853): Putjatins Ankunft in Nagasaki, später im Jahr 1855 wurde der Shimoda-Vertrag mit ihm als Repräsentanten für Russland unterzeichnet.

Der russisch-japanische Krieg

Im Zuge eines Territorien-Tausches im Jahr 1875 einigten sich Japan und Russland darauf, dass Japan die gesamte Kurilen-Inselkette besitzen und die Insel Sachalin zu Russland gehören sollte. Die Situation änderte sich aber in den Jahren 1904/05 mit dem russisch-japanischen Krieg. Japan besetzte mit seinen Truppen den südlichen Teil der Insel Sachalin und nach seiner Niederlage übergab Russland auch den nördlichen Teil an Japan. Kurz vor dem zweiten Weltkrieg unterschrieben Japan und die Sowjetunion einen Neutralitätspakt (1941), der für fünf Jahre gelten sollte. In diesem wurde versprochen, dass beide Länder eine freundliche Beziehung führen und die Territorien des jeweils anderen respektieren würden. Im Februar 1945 trafen sich Stalin (UdSSR), Churchill (UK) und Roosevelt (USA) zur Konferenz von Jalta. Auf dieser wurde der Entschluss gefasst, dass die Sowjet Union für die Alliierten gegen Japan in den Krieg eintreten solle. Daraufhin verkündete die Sowjetunion im April 1945, dass sie den Neutralitätspakt nicht verlängern würde, und erklärte Japan am 8. August 1945 den Krieg. Russland besetzte die Insel Sachalin und die Kurilen-Inselkette und gliederte diese Gebiete im Jahr 1946 in das eigene Territorium ein.

„Illegale Besetzung“

Die Sowjetunion ignorierte damit den Neutralitätspakt und auch die Atlantik Charta (1941), die sie zwar nicht unterschrieben, aber anerkannt haben. Diese untersagte unter anderem das Erobern von neuem Territorium. Aus diesem Grund bezeichnet das japanische Außenministerium die Eingliederung der Inseln in das russische Territorium als eine „illegale Besetzung“. Das Gegenargument dazu liegt im Friedensvertrag von San Francisco aus dem Jahr 1951 begründet. Den Friedensvertrag hat auch Japan unterschrieben und darin auf die Kurilen-Inseln verzichtet. Die japanische Regierung behauptet, dass sie den Vertrag nur mit dem Gedanken unterschrieben habe, dass die vier Inseln Habomai, Shikotan, Kunashiri und Etorofu nicht dazu gehörten. Bis heute beansprucht Japan diese vier Inseln.

Premierminister Yoshida unterzeichnet den San Francisco-Vertrag. ©ameblo.jp veröffentlicht am 8. September 1951

Der Ukraine Krieg – das neue Hindernis bei den Friedensverhandlungen


©Captain76 via Wikimedia Commons: Brücke am Kap von Nosappu mit der „Gebetsflamme“, welche die Hoffnung symbolisieren soll, dass Japan alle vier Inseln zurückbekommen wird.

Die Tatsache, dass beide Länder seit 77 Jahren keinen Friedensvertrag unterzeichnet haben, zeigt wie schwierig es ist, sich auf eine Lösung zu einigen, welche beide Parteien zufrieden stellen würde. Dies wird nun zusätzlich durch den Krieg in der Ukraine erschwert. Ich habe erforscht, wie die japanische Tageszeitung Asahi Shinbun über den Territorialstreit um die Kurilen im Zuge des Krieges in der Ukraine berichtete. In der Zeitspanne vom 23. Februar 2022 bis zum 17. Juni 2022 wurden 44 Artikel gesammelt und analysiert. Tatsächlich ist die Berichterstattung über den Territorialstreit seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine intensiver geworden. Obwohl Japan in einen aktiven Territorialstreit verwickelt ist und die Friedensverhandlungen zu dem Zeitpunkt noch im Gange waren, spürte Tōkyō den Druck des Westens und verhängte ebenfalls Sanktionen gegen Russland. Dies sorgte für Diskussionen unter Politiker*innen (hauptsächlich Politiker*innen der Liberaldemokratischen Partei Japans) und dem Volk (insbesondere Mitglieder der Föderation für die Kurilen-Inseln, wie z.B. Miyagawa Hideaki, der Exekutivdirektor der Föderation), welche der Regierung rieten den Territorialstreit nicht zu vergessen.

Premierminister Kishida Fumio machte deutlich, dass die Regierung in dieser Problematik auf die Zusammenarbeit mit den USA und der EU setzen würde. Die russische Regierung reagierte auf die Sanktionen Japans aber folgendermaßen:

Angesichts der ausgesprochen unfreundlichen Natur der einseitigen Sanktionen Japans gegen Russland im Zuge der Situation in der Ukraine werden folgende Maßnahmen unternommen. Zurzeit hat die russische Regierung keinerlei Absicht, die Friedensverhandlungen mit Japan weiterzuführen, da es unmöglich ist, mit einem Land, das eine ausgesprochen unfreundliche Haltung einnimmt und versucht, den Interessen unseres Landes zu schaden, über die Unterzeichnung eines fundamentalen Vertrages über die bilateralen Beziehungen zu diskutieren. (TASS 21.03.2022; nach eigener Übersetzung)

Als Reaktion auf diese Ankündigung von 21. März 2022 berichtete die Asahi Shinbun verstärkt über diese Situation und die Reaktion der japanischen Regierung. Premierminister Kishida stellte die Behauptung auf, dass die Sanktionen ausschließlich mit den Aktionen Russlands in der Ukraine in Verbindung stehen würden und nichts mit den Angelegenheiten der russisch-japanischen Beziehungen (insbesondere den Verhandlungen für einen Friedensvertrag) zu tun hätten. In einem Artikel der Asahi Shinbun wurden die Worte des Premierministers Kishida folgendermaßen zitiert:

„Die Reaktion Russlands mit dem Versuch, die Thematik auf die japanisch-russischen Beziehungen abzuwälzen ist äußerst ungerechtfertigt und inakzeptabel. Wir als Japan werden strengstens dagegen protestieren“, erläutert er. (Asahi Shinbun 23.03.2022; nach eigener Übersetzung)

Premierminister Kishida steht durch diese Entwicklungen in den Friedensverhandlungen nun unter Druck. Etliche Politiker*innen, wie zum Beispiel Suzuki Muneo, ein Mitglied des Repräsentantenhauses und die Tageszeitung Asahi Shinbun selbst verlangen von ihm, dass er Führungsstärke zeigen und in dieser Angelegenheit nicht nachgeben solle. Auch aus dem japanischen Volk stach eine Stimme besonders hervor. Nämlich die Stimme der ehemaligen Inselbewohner*innen, die einst auf den Inseln lebten, bis sie von den russischen Truppen vertrieben wurden.

Die Situation um die ehemaligen Inselbewohner*innen

Die ehemaligen Inselbewohner waren nicht Teil meiner eigentlichen Forschungsziele. Persönlich erfuhr ich von ihnen erst im Zuge meiner Forschung. Sie sind besonders von den Sanktionen und deren Folgen betroffen, denn für sie hat Russland nämlich die Visafreiheit, aufgrund derer sie die Inseln besuchen konnten, aufgehoben. Für die ehemaligen Inselbewohner*innen ist dies besonders schlimm, denn ihre Bemühungen, aus welchen auch die Visafreiheit im Jahr 1992 entstanden ist, wurden somit zunichte gemacht. So besteht unter ihnen die Befürchtung, dass sie womöglich nie wieder die Inseln und die Gräber ihrer Ahnen besuchen können, denn die meisten der ehemaligen Inselbewohner*innen sind in hohem Alter. Auch dadurch entsteht Druck auf die Regierung. Die Inselbewohner*innen appellieren an die japanische Regierung, die Fischer*innen, die in den Gewässern um die Kurilen fischen durften, und die ehemaligen Inselbewohner*innen nicht zu vergessen.

In der Stadt Nemuro im äußersten Nordosten von Hokkaido befindet sich eine Organisation für die ehemaligen Inselbewohner*innen, die Föderation der Einwohner der Kurilen-Inseln. Diese Organisation ist auf YouTube aktiv und ich habe ihren YouTube-Channel während meiner Recherche per Zufall entdeckt. Am 7. Februar 2022 wurde ein Video online gestellt, dass das Leben der ehemaligen Inselbewohner*innen am Beispiel von Furubayashi Sadao zeigen soll. Die Geschichte wird von seinem Standpunkt aus erzählt und mit einem Manga visualisiert. Ich habe aus diesem Video einen Ausschnitt gewählt, um zu zeigen, welche Gefühle die ehemaligen Inselbewohner*innen haben und welche Zukunft sie sich vorstellen.

Übersetzt von: Rabia Deveci – Lektorat: Mariana Rathbauer

Herr Furubayashi hat die Stadt Nemuro als seinen Wohnort gewählt, weil man die Insel Kunashiri am Horizont sehen kann. Dies zeugt von dem Wunsch der Heimat nahe zu sein, so nahe wie es nur geht. Für Furubayashi dürfen die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholt werden (z.B.: das Vertreiben der Inselbewohner*innen) und deswegen ist er dafür, dass mehr Menschen über den Territorialstreit Bescheid wissen. Denn je mehr Menschen davon wissen, desto eher können sie gemeinsam nach einer Lösung suchen. Herr Furubayashi erwünscht sich eine Zukunft, in welcher sie gemeinsam mit den russischen Bewohnern auf den Inseln leben können. (Das gesamte Video kann unter diesem Link angesehen werden: YouTube.com. )

Die ehemaligen Inselbewohner*innen werden insbesondere nach der Aufhebung der Visafreiheit weiterhin Druck auf die japanische Regierung ausüben. Ob sich die russisch-japanischen Beziehungen aber erholen können, sodass die Friedensverhandlungen weitergeführt werden, hängt stark von den Entwicklungen des Krieges in der Ukraine und den damit zusammenhängenden internationalen Beziehungen zu Russland ab.

Pressetext (verfasst im November 2022):

Die Kurilen sind eine Inselkette, die sich zwischen der nördlichen Grenze Japans und der südöstlichen Grenze Russlands befindet. Die erste offizielle Grenze, auf die sich beide Länder geeinigt hatten, wurde durch den Vertrag von Shimoda, im Jahr 1855 festgelegt. Diese Grenze lag zwischen den Inseln Etorofu und Urup. Durch diese Grenzziehung fielen die vier südlichen Kurilen-Inseln Habomai, Shikotan, Kunashiri und Etorofu in den Bereich des japanischen Territoriums. Da diese Grenzlinie die erste offiziell dokumentierte Grenze zwischen den beiden Ländern ist, werden die vier Inseln von der japanischen Regierung als japanisches Hoheitsgebiet erachtet. Zurzeit befinden sich die vier Inseln und die gesamte Inselkette allerdings in russischem Besitz. Die japanische Regierung bezeichnet diese Besetzung als illegal, weil Russland im Jahr 1945 begann die Inseln zu erobern − trotz des Neutralitätspaktes zwischen den beiden Ländern und dem Verbot der Eroberungen von Grund und Boden der auch von Russland anerkannten Atlantik Charta aus dem Jahr 1941. Darauffolgend wurden die Kurilen-Inseln im Jahr 1946 in das russische Territorium aufgenommen. Der Territorialstreit, in welchem Japan sein Hoheitsgebiet beansprucht, entwickelte sich als Folge dieser Ereignisse und ist ein wichtiger Grund dafür, dass beide Länder noch keinen Friedensvertrag unterzeichnet haben.

Mein Forschungsziel war es zu ermitteln, auf welche Art und Weise in der Asahi Shinbun über den Territorialstreit um die Kurilen-Inseln berichtet wurde, welche Akteur*innen aufgetreten sind, und welche Themen und Argumente angeführt wurden. Wichtig war auch herauszufinden, ob der Krieg in der Ukraine dabei eine Rolle spielte. Aus den Forschungsergebnissen konnte ich herausfinden, dass der Krieg in der Ukraine tatsächlich eine Rolle spielte. Mit dem Beginn des Krieges in der Ukraine beschloss Japan nämlich mit den USA und der EU zusammenzuarbeiten und gegen Russland Sanktionen zu verhängen. Diese Zusammenarbeit ist ein wichtiges Ziel des gegenwärtigen Premierministers Kishida Fumio. Als Antwort auf diese Sanktionen gab das russische Außenministerium am 21. März 2022 bekannt, dass man die Friedensverhandlungen mit Japan nun nicht mehr weiterführt. Das löste eine Welle von Enttäuschung in der japanischen Regierung, aber auch unter der Bevölkerung aus. Bei letzterem sticht die Stimme einer Gruppe besonders hervor, nämlich die der ehemaligen Inselbewohner*innen, die einst auf den Kurilen lebten und aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Ihr Leid ist besonders groß, denn neben dem Aussetzen der Friedensverhandlungen hat die russische Regierung auch die Visafreiheit, die sich die Betroffenen nach langen Bestrebungen erkämpft hatten, aufgehoben. Die Visafreiheit ermöglichte es ihnen, die Inseln zu besuchen. Insbesondere der Besuch der Gräber ihrer Ahnen ist für sie von großer Bedeutung, weshalb sie einen Appell an die japanische Regierung gerichtet haben, sich diesem Thema anzunehmen. Leider sind die meisten der ehemaligen Inselbewohner*innen in hohem Alter, weshalb viele darüber besorgt sind, die Inseln vor ihrem Tod nicht mehr besuchen zu können. Aus diesem Grund ist der Druck auf die japanische Regierung derzeit besonders groß.

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