japan
projects

Partizipative Projekte aus dem Bereich der Japanologie

Geschichte der Japanisch-Österreichischen Beziehungen

Die bedeutendsten Ereignisse und Entwicklungen
der Japanisch-Österreichischen Beziehungen im Überblick.

Work-in-progress: Seite in Arbeit

1625: Erster Österreicher in Japan, Christoph Carl Fernberger

1869: Schließung eines Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag in Tokio durch Konteradmiral Anton Freiherr von Petz am 18. Oktober

1871: Vertrag tritt in Kraft nach der Unterzeichnung von Kaiser und Tenno

1873: In Wien findet die fünfte Weltausstellung statt mit dem Japanischen Kaiserreich als eines der Ausstellerländer im Rahmen der Iwakura-Mission

1907: Österreichisch-Ungarische Gesandtschaft erhält den Rang einer Botschaft, Entsendung einer Botschaft nach Wien von Seiten Japans

1914: Mit dem Ersten Weltkrieg werden die diplomatischen Beziehungen vorerst abgebrochen

1935: Gründung der Japanisch-Österreichischen Gesellschaft in Tokio durch Baron Mitsui Takaharu

1953: Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen

1955: Am 15. November erkennt Japan als erster Staat die Neutralität Österreichs an

1957: Neue Gesandtschaften in Tokio und Wien erhalten den Rang einer Botschaft

1965: Errichtung des Instituts für Japanologie in Wien

1999: Besuch des Bundespräsidenten Thomas Klestil in Japan

2002: Besuch des japanischen Kaiserpaares in Wien

2009: 140 jähriges Jubiläum, gegenseitige Staatsbesuche von Bundespräsident Heinz Fischer und Prinzenpaar Akishino


Text: Alexander Kuhn

Die Iwakura Mission

Japan entdeckt den Westen. Die Iwakura-Mission in Österreich-Ungarn

Am 23. Dezember 1871 bricht eine hochrangige japanische Delegation von Yokohama in die USA und nach Europa auf. Nach seiner Öffnung aus rund 250-jähriger Isolation will Japan „die westliche Civilisation“ kennenlernen, sich Know-How für die Modernisierung des Landes sichern und eine Revision der ungleichen Handelsverträge erreichen, in die es gezwungen worden ist. Im Mai 1873 trifft die Mission in Österreich-Ungarn ein. Das Urteil über Österreich fällt zwiespältig aus.


AUFBRUCH JAPANS IN DIE MODERNE MIT GROSSER BESETZUNG

Bildungswesen, Rechtswissenschaften, Medizin, Heereswesen, Industrie und Technik…auf diesen Gebieten erhofft sich die japanische Delegation neue Erkenntnisse, die die Modernisierung und Entwicklung ihres Landes voranbringen sollen. Als die Delegation wegfährt, gibt es in Japan z.B. noch keine Eisenbahn. Umso begeisterter ist man von der Bahnverbindung zwischen San Francisco und New York, aber auch von der Bergbahn über den Semmering.
Angeführt vom außerordentlichen und bevollmächtigten Botschafter, Vizeministerpräsident Iwakura Tomomi, nach dem die Mission benannt ist, reist die Hälfte der Regierung zu zwölf westlichen Vertragsstaaten. Mit dabei sind Regierungsbeamte, Gelehrte, Student*innen, und der Chronist Kume Kunitake (1839 – 1932), insgesamt über 40 Personen. Kumes ausführlicher Reisebericht erscheint 1878.

Dieses erstaunliche Aufgebot zeige die große Bedeutung, die Japan dem Unternehmen beimaß, meint der Japanologe und Historiker Peter Pantzer, emeritierter Professor der Universität Bonn. So konnte sich die Führungsspitze

Peter Pantzer, em. Prof. f. Japanologie, Übersetzer des Logbuches von Kume ins Deutsche

wirkt. Peter Pantzer hat die Passagen von Kumes Bericht über Deutschland, Österreich und Schweiz gemeinsam mit einem Team ins Deutsche übersetzt.

Wahrer Bericht über die Rundreise des bevollmächtigten Sonderbotschafters durch Amerika und Europa

Kume Kunitakes Reisebericht erscheint 1878 unter dem Titel特命全権大使米欧回覧実記  tokumei zenken taishi beiō kairan jikki (Wahrer Bericht über die Rundreise des bevollmächtigten Sonderbotschafters durch Amerika und Europa) und ist eine wichtige Quelle für die Forschung über die Beziehungen Japans zu den besuchten Staaten, so auch Österreich. Die einzelnen Länderkapitel beginnen mit allgemeinen, enzyklopädischen Einführungen zu Geografie, Geschichte, Politik, Gesellschaft und Kultur, die zeigen, wie akribisch man sich vorbereitet hat. Erklärte Aufgabe der Mission sei es gewesen, „…auch die noch zögerlichen Zeitgenossen an den Schaltstellen von Behörden und Politik von der unbedingten Notwendigkeit zu überzeugen, dass die Öffnung zum Westen der einzig gangbare Weg für Japans Zukunft wäre“, so Pantzer. Der Chronist Kume Kunitake kommt zum Schluss, dass die großen Länder nicht zu fürchten, und die kleinen nicht gering zu schätzen seien.



Die Regierung ist mehr als eineinhalb Jahre fort von zu Hause

„Unvorstellbar, dass die Hälfte unserer Regierung so lange auf Reisen wäre!“, meint Peter Pantzer: „Man fragt sich, was die andere Hälfte gemacht hat, die in Japan geblieben ist.“ Nun, man hatte einen Vertrag geschlossen, dass man sich gegenseitig auf dem Laufenden hält. Doch in Vor-Telefon und Vor-Internet Zeiten dauerte die Kommunikation lange. Es vergingen jeweils mehrere Wochen, bis eine Antwort da war.

© Peter Pantzer, Das Logbuch des Chronisten Kume Kunitake über den
Besuch der japanischen Sondergesandtschaft in den USA und Europa, 1871 – 1873
Das Logbuch im Antiquariat und ein Übersetzungstraum

Es war im Jahr 1968, als Peter Pantzer als junger Student den fünfbändigen Reisebericht von Kume Kunitake in einem Antiquariat in Tōkyō entdeckte und davon fasziniert war. Schließlich kaufte er die mit Illustrationen über viele Stationen der Reise versehenen Bände um die Hälfte seines monatlichen Stipendiums, und träumte davon, es zu übersetzen. Doch bis zur Realisierung sollten 25 Jahre vergehen. Seine deutsche Übersetzung Die Iwakura-Mission erscheint 2002 im iudicium Verlag München.

Peter Pantzer zeigt Japanologie-Student Alexander Pucher das Logbuch

Prof. em. Peter Pantzer, Japanologe, Historiker, Übersetzer und Hrsg. des Logbuchs über die Iwakura-Mission

Glanzvolle Schönheit der österreichischen Uniformen

Österreich-Ungarn ist die vorletzte Station der langen Reise. Da hat die japanische Delegation in den USA, Großbritannien, Frankreich, Belgien, Deutschland und Skandinavien schon alles gesehen, was sie sehen wollte. Am meisten beeindruckt hat sie die Industrialisierung in den USA und Großbritannien. In Österreich hinterlassen vor allem die Semmeringbahn, das Heeresgeschichtliche Museum und die schicken Uniformen den größten Eindruck bei der japanischen Delegation.


Prof. em. Peter Pantzer, Japanologe, Historiker, Übersetzer und Hrsg. des Logbuchs über die Iwakura-Mission

Über die glanzvolle Schönheit der Uniformen („die prächtigsten in ganz Europa“ ) und die vorzüglich strukturierte Erzeugung von Heeresbekleidung für die k.u.k. Armee vergißt der japanische Chronist nicht, die dezidierte Feststellung zu treffen, daß die militärischen Anstrengungen zu wünschen übrig ließen, und zwar in einem „für ein zivilisiertes Land schandbaren Ausmaß“. (Kap.80, S.393) Pantzer: Die Iwakura-Mission, Einführung, Seite XXII



Zwiespältiges Urteil über Österreich

In Wien wohnen die Gesandten im Hotel Austria, das ihnen von der österreichischen Regierung zur Verfügung gestellt wird. Anmerkung Kume: Für Küche und Keller hatte die Delegation selbst zu sorgen. Es gibt ein durchaus ambitioniertes Programm zu Ehren der Gäste: Die Gesandtschaft nimmt an der Truppenrevue auf dem Exerzierplatz auf der Schmelz teil, die der Kaiser anläss- 

lich der Wiener Weltausstellung abhalten lässt; besucht die Weltausstellung, Kasernen, Produktionsstätten und die Schatzkammer in der Hofburg; Dokumente geben Auskunft über eine Einladung zur Tafel in Schönbrunn bei Seiner Majestät dem Kaiser, inclusive Musikprogramm, wie es im Text heißt, oder den Empfang durch Außenminister Julius Graf Andrássy. Und trotzdem hat Wien bei der Delegation offenbar keinen großen Eindruck hinterlassen.

Das Urteil, das Kume über Österreich fällt, ist ein sehr zwiespältiges. Vielleicht um Ausgewogenheit bemüht, wird beim Vergleich mit dem Deutschen Reich der Vorrang Österreichs in kulturellen Dingen unterstrichen. Es wird von einem wärmeren Wesen gesprochen, von einem Schönheitssinn, der in vielerlei Bereichen so in Berlin nicht anzutreffen gewesen wäre, von den Leistungen der Wissenschaft, namentlich im Ingenieurswesen und der Medizin; dann aber werden unmissverständliche Zensuren ausgeteilt, die über Österreich ein hartes Urteil fällen. (Pantzer: Die Iwakura-Mission, Einführung, Seiten XXI-XXIII)



Was missfällt der japanischen Delegation?

Zwar verfügt das Volk nur über beschränkten Elan und Erfindungsreichtum, doch wendet es sich gerne Neuerungen zu, bemerkt Chronist Kume Kunitake über die Österreicher. An mehreren Stellen in seinem Bericht gibt es Notizen zur Multikulturalität Österreich-Ungarns, die Kume als einen Nachteil für Österreich sieht: Daraus folgert die immense Schwierigkeit, in den einzelnen Ländern politisch einheitliche Ziele umzusetzen. Dem Land fehle ein einheitliches Gepräge, und die Tatsache, dass im Vielvölkerstaat in der Schule mehrere Sprachen verwendet werden müssen, sei für den Fortschritt hinderlich.



Nüchterne Bestandsaufnahme: Bericht der Iwakura-Mission spiegelt Interessen des Meiji-Staates wider

Mit dem Bericht der Iwakura-Mission liege eine sehr nüchterne Bestandsaufnahme dessen vor, was für den japanischen Staat und seine Politik zu Beginn der Meiji-Zeit gewesen sei, meint die Japanologin Ina Hein vom Institut für Ostasienwissenschaften der Universität Wien. In ihrem Aufsatz „Von Lerneifer, Hassliebe und Desinteresse“ (Bachleitner, Ivanovic (Hg.): Nach Wien!/Wechselwirkungen Band 17/Seiten 118-124), kommt sie zum Fazit:

….Dass die Aufzeichnungen Kume Kunitakes über den Aufenthalt der Iwakura-Mission in Wien ganz klar die politischen Interessen der Meiji-Regierung widerspiegeln — sie sagen damit nicht so viel über das Wien der damaligen Zeit aus, sondern eher etwas über das sich gerade modernisierende Japan.

Stets im Hintergrund präsent sei die Frage nach der Fortschrittlichkeit bzw. dem Entwicklungsstand des bereisten Landes und somit nach der Verwertbarkeit für Japan, so Ina Hein.

Text: Judith Brandner
Mitarbeit: Alexander Pucher

Michiko Milena Flašar

JAPAn als literarisch-poetischer raum 

»Das ist das Schöne am Lesen«, sagt Milena Michiko Flašar, »dass es nicht aufhört, dass man immer weiterliest. Man liest etwas und stößt dann meistens schon wieder auf das Nächste. Man wird durch ein Buch hingeführt zum Nächsten. Und dann ergibt sich im Nachhinein ein Muster, wie ein Teppich.«
Die schriftstellerin milena michiko flašar – 作家 ミレーナ 美智子・フラッシャール

Ich bin bei Milena zuhause. An der Wand gegenüber der Wohnungseingangstür hängt ein Gemälde des Künstlers, der das Cover von Ich nannte ihn Krawatte gemalt hat. Eine Darstellung von Koi, japanischen Karpfen. Darunter, auf der blauen Kommode, steht ein Bild im Stil eines Ukiyo-e, das Milenas Tante angefertigt hat. Milena sitzt mit mir im Wohnzimmer, ein großer, heller  und liebevoll dekorierter Raum. Neben der Couch stapeln sich Bücher. An der Wand steht ein großes, vollbestelltes Bücherregal.

»Wenn ich wirklich mit etwas beschäftigt bin, dann ist es wie ein Eintauchen in eine ganz eigene Welt, ein ganz eigenes System«, beschreibt Milena ihr Leseerlebnis. »Ich lese jetzt schon seit geraumer Zeit eigentlich hauptsächlich nur noch japanische Literatur, allerdings in deutscher oder englischer Übersetzung«, erzählt sie. Sehr gerne und intensiv lese sie beispielsweise Murakami Haruki und Nakamura Fuminori. In der japanischen Literatur gebe es viele Dinge, die sie wahnsinnig spannend fände und die sie bisher noch nicht entdeckt habe.

© Simone Fuchslueger
Alltag zwischen Schreiben und Familie

Milena ist Tochter einer japanischen Mutter und eines österreichischen Vaters. Sie wuchs in St. Pölten auf und lebt jetzt mit ihrer Familie in Wien. Sie ist Schriftstellerin und arbeitet fleißig. Im Februar 2018 erschien ihr Roman Herr Katō spielt Familie im Verlag Klaus Wagenbach. Für Milena ist momentan eine Zeit der Recherche, eine Zeit für ganz viel Lektüre. Sie liest fast ein Buch pro Tag und befindet sich mitten im Prozess der Themenfindung. Das bedeutet aber nicht, dass sie nicht schreibt, erklärt sie: »Ich bin schon in einem Schreibprojekt, aber was ich meine, ist dieser große Unterschied, wenn man dann wirklich ganz klar an einem Roman sitzt, wo man weiß: Okay, das ist es jetzt! Oder ob man eben einfach nur schreibt und Dinge ausprobiert. Also ich bin jetzt eher in diesem zweiten Bereich.«

Milena ist ihre Familie sehr wichtig. Ihr Alltag sieht aktuell so aus, dass sie morgens erstmal ihren fünfjährigen Sohn in den Kindergarten bringt. Danach geht sie Laufen, kommt nachhause und beginnt ihre Arbeit. »Das zieht sich dann über den ganzen Vormittag hin, bis er wieder vom Kindergarten zurückkommt, unser Sohn. Dann bin ich aber auch auf der ganz anderen Seite meines Lebens«, sagt Milena, »nämlich bin ich dann Mutter, bin ich Hausfrau.«


Japanisch. Eine emotionale, kindliche Sprache

In Milenas Leben spielt die japanische Sprache eine bedeutende Rolle. Das Japanische hat in ihr mit einem emotionalen Bereich zu tun. Sie empfindet die Sprache sehr warm und lieblich klingend. »Ich finde, dass das Japanische etwas sehr angenehm – und ich meine das wirklich durchwegs positiv – etwas angenehm Kindliches hat. Vielleicht ist es auch deshalb, weil es in meiner Kindheit so präsent war, dass ich das unbedingt damit verbinde«, erzählt sie. Als Beispiele nennt sie das Lautmalerische, die ganz vielen Ausdrücke für den fallenden Regen, und die diversen Verkürzungs-, Verniedlichungs- und Verkleinerungsformen. Das eigne sich in sehr für Kinder. »Das war auch wirklich mein erster Impuls«, sagt Milena, »wir hatten uns natürlich die Frage gestellt: Okay, unser Sohn kommt jetzt auf die Welt. Wie werden wir ihn sprachlich erziehen? Machen wir es nur einsprachig, oder machen wir es doch mehrsprachig?«

Milena ist in Österreich mit Deutsch und Japanisch aufgewachsen. Sie hat in ihrer Kindheit viele Sommer in Japan verbracht und ist bis heute jedes Jahr für ein paar Wochen dort. Sie hat aber nie längere Zeit am Stück in Japan gelebt und kann nur Hiragana, Katakana und einfache Kanji lesen. In Wien fehlt ihr der Kontakt zu den japanischen Schriftzeichen und die Notwendigkeit zum Lernen komplexer Kanji.

Bevor ihr Sohn zur Welt kam, hatte sie Bedenken bezüglich der sprachlichen Erziehung ihres Kindes: »Trau‘ ich mir das zu? Auch, wenn mein Japanisch nicht perfekt ist, dass ich ihm Japanisch beibringe?« Dann wurde das Kind geboren und es war für sie vollkommen klar, dass sie mit ihm auf Japanisch sprechen muss. »Ganz einfach, weil das irgendwie auch mein Zugang ist zum Kind. Mir fällt es fast ein bisschen einfacher auf Japanisch als auf Deutsch«, sagt Milena. Es erscheint ihr etwas merkwürdig, denn das Deutsche habe auch sehr große Qualitäten. »Man kann Dinge auf Deutsch finde ich sehr klar und genau ausdrücken. Das ist etwas, was ich im Deutschen als Autorin natürlich sehr, sehr schätze«, erklärt sie. Das Japanische sei hingegen schwammiger, was die Sprache wiederum auch sehr sympathisch mache.


Schauplatz Japan

Japan und Japanisch kommen in allen vier Büchern von Milena vor, in den letzten beiden Romanen – Ich nannte ihn Krawatte und Herr Katō spielt Familie – stärker als zuvor. Hier ist der Schauplatz in Japan angesiedelt. Die Figuren sind Japaner*innen und agieren als solche. Sie weisen bestimmte, auch kulturell geprägte Verhaltensweisen auf, die darauf hindeuten, dass sie sich in Japan befinden. Milena beschreibt das Japan in ihren Büchern als einen literarisch-poetischen Raum, in den sie sich mit ihren Figuren begibt, wo sie diese mit ihren ganz persönlichen japanischen Merkmalen ausstattet. Auf der anderen Seite geht es in den Romanen auch sehr stark um universelle Themen. »Es geht um ganz allgemein menschliche Themen, um existentielle Themen, um Einsamkeit, um Außenseitertum«, erklärt Milena. Folglich könnten die Geschichten auch hier spielen. »Das ist mir auch wichtig«, führt sie weiter aus, »dass der Leser es für sich hierher transportieren kann, dass er es zu sich holen kann, dass er sich dem auch nahe fühlen kann und nicht das Gefühl bekommt, er liest jetzt ein exotisches Buch über ein exotisches Land.« Milenas Werk zielt damit nicht auf eine Leseart ab, bei der die Leser*innen nur nach Japan schauen und die Probleme allein dort und nicht auch hier bei sich verorten können.

Mit Themen wie Hikikomori in Ich nannte ihn KrawatteRHS (Retired Husband Syndrom) und der Rent a Family Industrie in Herr Katō spielt Familie greift Milena spannende und zugleich kritische Phänomene im Zusammenhang mit Japan heraus. Damit möchte sie ihrem deutschsprachigen Lesepublikum jedoch kein bestimmtes Japanbild vermitteln. Sie möchte auch nicht auf bestimmte Aspekte von Japan aufmerksam machen. Vielmehr sieht sie die Phänomene in einem globalen Zusammenhang. Für Milena deuten solche Phänomene auf eine bestimmte soziale Befindlichkeit hin: »Und zwar darauf, dass es in unserer Gesellschaft viele Lücken gibt. Dass beispielsweise im Falle des Hikikomori das Problem nicht unbedingt in ihm, sondern in der Gesellschaft zu sehen ist. Dass es für ihn in der Mitte der Gesellschaft keinen Platz gibt. Er rausgefallen ist, aber eigentlich auch ausgestoßen wurde«, sagt sie. Das spannende an Japan findet Milena dabei, wie schnell man dort bei der Hand ist mit Namen für gewisse Dinge, wofür im Deutschen noch keine Bezeichnung existiert. Sie bemerkt, dass es auch hier junge Menschen gibt, die die Schule abbrechen und sich zuhause versteckt oder eingeschlossen halten. Zwar gibt es sie in einer niedrigeren Zahl unter anderen sozialen Bedingungen, aber es handele sich keineswegs um Phänomene, die nur in Japan anzutreffen seien.

»Ich glaube, Japan ist einfach auch eine ganz interessante Folie. Das ist ja irgendwie auch ein Land, das auch für mich immer irgendwo geheimnisvoll ist oder undurchdringbar erscheint«, meint Milena, »wo es Dinge gibt, über die man sich wundern muss, über die man staunt, die man so als Europäer nicht zu kennen meint, obwohl man sie doch irgendwie kennt.« Sie beschreibt Japan als einerseits fremd, andererseits aber auch als extrem vertraut und nahe. Bei Japan sei eine andere Nähe da als beispielsweise zu Indien. »Viellicht ist es das«, sagt Milena, »was es zu einem interessanten literarischen Ort macht. Ich blicke zwar aus der Ferne auf Japan, gleichzeitig kommt mir vor, ich sehe manche Dinge ganz einfach schärfer.«


Übersetzung und Reise

Milenas deutschsprachiger Roman Ich nannte ihn Krawatte wurde auch ins Japanische übersetzt und ist 2018 als Boku to Nekutai-san ぼくとネクタイさん im Verlag Ikubundo in Japan erschienen. Für Milena war es eine große Freude und seit langer Zeit auch ein großer Wunsch, dass das Buch ins Japanische übertragen wird. Sie hat Freunde und Familie in Japan, für die es schön ist, wenn sie endlich etwas von ihr auf Japanisch lesen können. »Es ist für mich eine schöne Art der Kommunikation mit ihnen«, sagt Milena.

Wenn Milena in Japan ist, ist es für sie ein privater Urlaub, der manchmal auch mit Arbeit verknüpft ist. Bei ihrem letzten Besuch in Japan konnte sie beispielsweise die japanische Übersetzung präsentieren. Sie las an der Österreichischen Botschaft und auch an verschiedenen Universitäten. Ihre Zeit in Japan ist meistens sehr begrenzt, meist nur zwei bis drei Wochen. In dieser kurzen Zeit genießt sie das Land, das gute Essen und die japanische Gastfreundlichkeit. Recherche für ihre Bücher betreibt sie in Japan auf eine ganz natürliche Art und Weise. Sie nimmt das Atmosphärische in sich auf und saugt die Stimmung in sich ein, so wie sie es auch hier tut.

»Es ist ja doch auch so ein gewisses Wagnis«, bemerkt Milena, »ich schreibe da als österreichische, deutschsprachige Autorin über ein japanisches Thema, ohne aber eigentlich jemals in Japan gelebt zu haben. Ohne also wirklich die japanische Gesellschaft in aller ihrer Tiefe zu kennen.« Sie habe sich gewisse Motive auch geborgt und ins Literarische verarbeitet. Dann stellte sich ihr die Frage: »Wie kommt das dann aber genau in Japan an? Wird das vielleicht nicht gelesen als irgendwie vollkommen schräges Buch, das aus einer fremden Perspektive heraus das Eigene beleuchtet und dadurch aber befremdlich ist?« Sie selbst würde eine solche Schreibweise als Leserin zwar sehr schätzen und spannend finden, aber dennoch hatte sie Bedenken, wie das Buch wohl in Japan ankommen wird.

Letztlich waren ihre Sorgen aber unbegründet. Sie habe bisher nur positive Stimmen aus Japan über ihren Roman gehört. Es gibt auch Besprechungen in japanischen Literaturzeitschriften, kürzlich beispielsweise inすばるSubaru. »Es wurde eigentlich auch mit großem Lob bedacht«, verrät Milena, »was mich dann auch erleichtert hat und bekräftigt hat indem, dass es möglich ist, so etwas zu machen.« Es bleibt gespannt zu erwarten, mit welchen literarischen Werken Milena uns künftig überraschen wird. »Ich warte auf das neue Jahr, dann werde ich wieder durchstarten. Ich hab‘ auch schon eine Idee, wie das zu machen sein wird«, kündigte sie Dezember 2018 an.

Milena liest aus Ich nannte ihn Krawatte. Ihre literarische Darstellung und Charakterisierung der Figur des Hikikomori hier zum Anhören:

Ich bin kein typischer Hikikomori […]. Keiner, von dem in den Büchern und Zeitungsartikeln, die man mir dann und wann zur Lektüre auf die Schwelle legt, die Rede ist. Ich lese keine Mangas, ich verbringe den Tag nicht vor dem Fernseher und die Nacht nicht vor dem Computer. Ich baue keine Modellflugzeuge. Von Videospielen wird mir schlecht. Nichts soll mich ablenken von dem Versuch, mich vor mir selbst zu bewahren. Vor meinem Namen etwa, vor meinem Erbe. Ich bin der einzige Sohn. Vor meinem Körper, dessen Bedürfnisse nicht aufgehört haben, mich zu erhalten. Vor meinem Hunger, vor meinem Durst. In den zwei Jahren, die ich abgesessen habe, überkam mich mein Körper drei Mal am Tag. Ich schlich dann zur Tür, öffnete sie einen Spalt weit, nahm das Tablett hoch, das Mutter mir hingestellt hatte. Wenn niemand zu Hause war, schlüpfte ich hinaus ins Badezimmer. Ich wusch mich. Seltsam, dieses Bedürfnis, mich zu waschen. Ich putzte mir die Zähne und kämmte mir die Haare. Sie waren lang geworden. Ein Blick in den Spiegel: Es gibt mich noch. Ich unterdrückte den Schrei, der in meiner Kehle saß. Auch vor ihm wollte ich mich bewahren. Vor meiner Stimme, vor meiner Sprache. Der Sprache, in der ich nun festhalte, dass ich nicht weiß, ob es den typischen Hikikomori überhaupt gibt. So wie es die unterschiedlichsten Zimmer gibt, gibt es die unterschiedlichsten Hikikomoris, die sich aus den unterschiedlichsten Gründen und auf die unterschiedlichste Art und Weise in sich verkrochen haben. Während der eine, ich habe von ihm gelesen, seine dahinschwindende Jugend damit verbringt, die immer gleiche Melodie auf einer nur dreisaitigen Gitarre einzuüben, hat der andere, auch von ihm habe ich gelesen, eine Sammlung von Muscheln angelegt. Nachts, wenn es dunkel ist, läuft er, die Kapuze überm Kopf, ans Meer und kehrt erst dann wieder heim, wenn der Morgen graut.

(Milena Michiko Flašar, Ich nannte ihn Krawatte, 9. Auflage 2014, Seite 42–43)

Welche Assoziationen Milena zur 150-jährigen diplomatischen Beziehung zwischen Japan und Österreich hat, erzählt sie hier:

Milena erinnert sich nostalgisch an ihre Kindheit in St. Pölten zurück und an die bestehende Städtepartnerschaft zwischen der niederösterreichischen Landeshauptstadt und Kurashiki. Ihre Mutter war damals aktiv mit dieser Partnerschaft beschäftigt und half beim Übersetzen, wenn eine japanische Delegation nach St. Pölten reiste. Es ist schön, dass es der Zufall so gewollt hat, dass die junge Milena in einer österreichischen Stadt geboren wird und aufgewachsen ist, die mit Japan verbunden ist.

Milena, denkst du, dass du mit deinen deutschsprachigen Büchern, die einen Bezug zu Japan haben, auch einen Beitrag zur freundschaftlichen Beziehung zwischen Österreich und Japan leistest?

»Ohne, dass es jetzt unbedingt meine Motivation ist, dass ich eben dazu etwas beitrage: Wenn es auf ganz natürliche Art und Weise mit entsteht, dass dem so ist, dann würde ich mich natürlich sehr freuen. Also wenn es Leser und Leserinnen dazu einlädt, sich generell mit Japan beispielsweise zu beschäftigen, ihr Interesse erweckt, dann wäre das etwas Großartiges. Dann würde ich mich sehr freuen.«



***

Es folgt: Pressetext (verfasst im Herbst 2018)

 Milena Michiko Flašar

Eine österreichisch-japanische Schriftstellerin

Im Park war er der einzige Salaryman. Im Park war ich der einzige Hikikomori. Etwas stimmte nicht mit uns. Er sollte eigentlich in seinem Büro, in einem der Hochhäuser, ich sollte eigentlich in meinem Zimmer, zwischen vier Wänden hocken. Wir sollten nicht hier sein oder wenigstens nicht so tun, als ob wir hierher gehörten. (Milena Michiko Flašar, Ich nannte ihn Krawatte, 2012, S. 18)

Eine interessante Persönlichkeit aus Österreich, die in ihren literarischen Werken vielfältige Bezüge zu Japan aufweist, ist die 1980 in St. Pölten geborene Schriftstellerin Milena Michiko Flašar, deren Mutter aus Japan und deren Vater aus Österreich stammen. Flašar studierte Germanistik und Romanistik in Wien und Berlin und lebt derzeit mit ihrer Familie in Wien. Bis zum aktuellen Zeitpunkt veröffentlichte sie vier Bücher, darunter auch der zitierte Roman Ich nannte ihn Krawatte, der im Jänner 2012 im Wagenbach Verlag erschien. Der Roman handelt von der Begegnung im Park zwischen einem Salaryman, einem japanischen Firmenangestellten mittleren Alters, namens Ōhara Tetsu, der erst kürzlich von seiner Firma entlassen wurde, und dem deutlich jüngeren Taguchi Hiro, der sich den Leser*innen als Hikikomori zu erkennen gibt. Als Hikikomori werden in Japan jene Personen bezeichnet, die bei ihren Eltern zuhause leben, sich in ihrem Zimmer verbarrikadieren und dabei den Kontakt zur Familie und nach Außen auf ein äußerstes Minimum reduzieren. Der Roman zeichnet damit ein spannendes Bild von Japan und der japanischen Gesellschaft. Er wurde nicht nur mehrfach mit Literaturpreisen ausgezeichnet, sondern auch als Bühnen- und Tanztheater bearbeitet, als Hörspiel umgesetzt und in verschiedene Sprachen übersetzt. Dieses Jahr im Februar erschien Flašars neuestes Werk Herr Katō spielt Familie im Wagenbach Verlag, woraus die Autorin bereits Lesungen hielt. Ihre ersten beiden Bücher publizierte sie im Residenz Verlag, [Ich bin] im Jahr 2008 und Okaasan: Meine unbekannte Mutter im Jahr 2010. Simone Fuchslueger zeichnet in ihrem Beitrag ein Porträt dieser spannenden Schriftstellerin. Das Japan, das Milena Michiko Flašar in ihren Büchern präsentiert, spielt darin eine wesentliche Rolle.

Milena Michiko Flašar & Teresa Indjein, Lesung und Gespräch auf der BUCH WIEN 18

Die BUCH WIEN, das diesjährig größte Fest für Bücher in Österreich, fand vom 7. bis 11. November 2018 statt und führte zahlreiche Buchinteressierte zur MESSE Halle D im zweiten Wiener Bezirk in der Nähe der U2 Station Krieau. Am Freitag, den 8. November 2018, besuchte Simone Fuchslueger BUCH WIEN, um Eindrücke von Milena Michiko Flašars Lesung mit Gespräch auf der ORF-Bühne zu sammeln.
ORF-Bühne, BUCH WIEN 18 © Simone Fuchslueger

Um auf der BUCH WIEN 2018 dem Publikum einen Eindruck der Stimmung des Romans Herr Katō spielt Familie zu geben, las Flašar mit unglaublicher Bühnenpräsenz den Romanbeginn und nahm mit ihrer Stimme die Zuhörer*innen ein. Das Buch handelt von einem Mann, der sich im Ruhestand plötzlich mit einem Mehr an Zeit konfrontiert sieht, sich gewissermaßen neu definieren muss und einen neuen Platz innerhalb seiner Familie sucht. Auf die Frage der Moderatorin, wie Flašar als junge Schriftstellerin zu einem solchem Thema komme, antwortete sie, dass sie bei ihrer Zeitungsartikelrecherche für ein neues Buch auf das sogenannte Retired Husband Syndrom, kurz RHS, gestoßen sei, welches sie besonders faszinierte. Bei RHS, wie es die Autorin auch hinten in den Anmerkungen zu ihrem Roman erklärt, handelt es sich um eine psychosomatische Erkrankung der Frau, die eintritt, sobald der Ehemann in Rente gegangen ist. Die Beschwerden, die die Betroffenen entwickeln, und die ein in den Augen von Flašar interessantes Krankheitsbild hervorrufen, sind vielfältig, wie sich im Buch an unterschiedlichen Stellen, wie der folgenden, zeigt:

Die Frau […] habe nämlich einen Mann, der sie regelrecht zutexten würde, weshalb sie selbst kaum zu Wort komme und schon allerlei offensichtlich psychosomatische Beschwerden entwickelt habe: einen Kloß im Hals, den sie nicht mehr losbekommt, dazu einen Ausschlag rund um den Mund, der juckt, ein leichtes Stottern, in das sie immer verfällt, wenn sie jemand bei ihrem Familiennamen ruft, nicht aber bei ihrem Vornamen. (Milena Michiko Flašar, Herr Katō spielt Familie, Verlag Klaus Wagenbach, 2018, S. 89)

Eigentlich wollte Flašar, wie sie auf der BUCH WIEN sagte, den Roman zuerst aus der Sicht der Ehefrau schreiben, kam damit jedoch nicht weiter, da es ihr zu jämmerlich erschien, und entschied sich dann, es stattdessen aus der Sicht eines Mannes zu versuchen. Dadurch konnte sie als Autorin ein Mitgefühl für ihn entwickeln, den Mann, der sein Leben lang für die Familie gearbeitet hat, jedoch keine tiefergehende Verbindung zu den Familienmitgliedern aufbauen konnte und sich nun in der Rente irgendwie fehl am Platz fühlt.

Eine zweite Idee für ein Buch, die im Zuge der Recherche entstand, war die Rent a Family-Industrie in Japan. Dabei handelt es sich um spezielle Agenturen in Japan, die – wie Milena Michiko Flašar sagte – bestimmte „Lücken“ füllen. Die Agenturen hätten etwas Laienhaftes, was das Ganze noch echter mache, und würden zwei Zwecke erfüllen: Entweder sie verschleiern etwas und zeigen so eine andere Wirklichkeit, oder sie entstehen aus einer bestimmten inneren Not heraus, um sich unerfüllter Wünsche anzunehmen. Eine Aufgabe des Protagonisten im Roman besteht beispielsweise darin, den Vater einer Frau namens Rumi und den Großvater für ihren Sohn Jordan zu spielen, denn der echte Großvater macht seinen Enkel Jordan für den Tod seiner Frau verantwortlich:

Zu Ihrer Aufgabe, Herr Katō. Wie gesagt, handelt es sich um nichts Schwieriges. Sie sollen für drei, vier Stunden, je nachdem wie sich Jordan zu Ihnen stellt, zum Tee vorbeikommen, sich ein bisschen mit ihm unterhalten, fragen wie es ihm geht, ob er gut in der Schule ist, kurz: ihm das Gefühl geben, dass er außer seiner Mutter noch jemanden hat, dem er am Herzen liegt. (Milena Michiko Flašar, Herr Katō spielt Familie, Verlag Klaus Wagenbach, 2018, S. 74)

Wie Flašar auf der Bühne betont, sieht man in ihrem Roman, dass Rent a Family funktionieren kann, und innerhalb der kurzen Zeit eine Erfüllung stattfinden kann. Im Buch laufen zwei Schienen parallel: die echte Schiene, das wirkliche Leben des Protagonisten als pensionierter Ehemann, Vater und ehemaliger Arbeitskollege, und die unechte Schiene, das Schauspiel, die Rollen die er übernimmt, in denen er jene Emotionen ausleben kann, die er im echten Leben nicht zulassen darf. Anfangs waren es zwei getrennte Ideen – RHS und Rent a Family – die dann im Schreibprozess aber immer mehr miteinander verbunden wurden und sich schließlich zu einer Idee im Roman fügten.

In Bezug auf Japan sagt Flašar, dass sie das Land nicht getrennt von ihrer Mutter betrachten könne. Sie habe als Kind und Jugendliche viele Sommer dort verbracht und ist auch jetzt noch jährlich dort. Japan ist eine, wie sie sagte, tolle Kulisse für sie zum Schreiben als Autorin, weil es ihr gleichzeitig fremd und vertraut sei. Japan helfe ihr eine gewisse Distanz einzunehmen. Schreiben sei ein kreativer Prozess für Flašar, in dem zwar Wissen benötigt wird, in dem das Wissen aber auch nicht Überhand nehmen dürfe, um die Kreativität nicht zu hemmen. Schreiben sei ein Kreieren von Bildern. Die Leser*innen schreiben den Roman mit und zeichnen die Bilder in ihren Köpfen. Als Schriftstellerin überlege sie daher immer: Was soll ich schreiben? Was kann ich auslassen? Wie viel Schlichtheit ist passend?

Laut Flašar ist es nicht die Aufgabe der Literatur etwas zu erklären, sondern vielmehr etwas zu offenbaren. Literarische Texte würden Geheimnisse offenbaren, weshalb die Familie in der Literatur ein perfekter Schauplatz sei. Literatur sei ein Ort der Möglichkeiten, der Utopie. Oftmals habe man nach dem Lesen schließlich auch mehr Fragen als Antworten.

Messestand Verlag Klaus Wagenbach, BUCH WIEN 18 ©Simone Fuchslueger

Das Schlusswort des Gesprächs mit Lesung leitete Teresa Indjein, Sektionsleiterin für kulturelle Auslandsbeziehungen des Außenministeriums und Konzeptionistin des Projekts schreibART AUSTRIAmit den Worten „Die Dinge leben von der Mühe, die man sich macht“ ein. Ziel von schreibART AUSTIRA sei es, Österreich als Land neuer Literatur vorzustellen. Dazu komme alle drei bis vier Jahre ein Buch heraus, in dem (junge) Stimmen aus Österreich publiziert werden. Das Projekt ermögliche es österreichischen Autor*innen, sich in verschiedenen Ländern zu präsentieren. Flašar erzählte, dass sie durch schreibART AUSTRIA für Buchpräsentationen beispielsweise nach Moldawien und Ägypten kam. Durch ihren Besuch in Ägypten kam auch die Übersetzung von Ich nannte ihn Krawatte ins Arabische zustande. schreibART AUSTRIA diene folglich als Plattform, um österreichische Literatur einem interessierten Publikum im Ausland präsentieren zu können. Jährlich fänden rund 600 literarische Veranstaltungen im Ausland statt, wovon ungefähr 100 über das Projekt schreibART AUSTRIA laufen. Es handle sich um ein riesiges Netzwerk, dem die Botschaften, Kulturforen, die Österreich Institute und Österreich Bibliotheken angehören. Zum Netzwerk zählen auch zahlreiche Germanist*innen aus Österreich, die im Ausland leben und arbeiten.

Milena Michiko Flašar beim Signieren
BUCH WIEN 18 © Simone Fuchslueger

Indjein berichtete abschließend von ihrer ersten Begegnung mit Milena Michiko Flašar in einem kleinen literarischen Szeneort in Berlin. Sie hörte Milena vorlesen, war begeistert von ihrer Stimme, den Texten und war sich sicher, dass sie bestimmt einmal eine tolle Autorin werden würde. In Hinblick auf Japan verwies Indjein abschließend kurz auf den österreichisch-japanischen Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrags von 1869, dessen Unterzeichnung sich 2019 zum 150. Mal jährt. Das 150-jährige Länderabkommen zwischen Japan und Österreich könne als Anlass und Plattform dienen, die Literatur von Flašar zu präsentieren.

Nach der Lesung und dem Gespräch signierte Milena Michiko Flašar noch  eifrig Bücher, die auch im direkten Anschluss an ihren Bühnenauftritt  gekauft werden konnten. Die Begeisterten waren haupt-

sächlich Frauen, sowohl jüngere als auch ältere. Einige „Fans“ knipsten sogar noch ein Erinnerungsfoto zusammen mit der Autorin. Auch ich konnte mein Buch signieren lassen:

Signatur von Milena Michiko Flašar, BUCH WIEN 18 © Simone Fuchslueger

Text: Simone Fuchslueger

Ongaku no Miyako

Von den etwas mehr als 2000 in Österreich lebenden Japaner*innen studieren einige hundert Musik in Wien. “Typisch”, möchte man meinen, sieht man die vielen japanischen Tourist*innen in der Wiener Staatsoper oder im Musikverein. Als Ongaku no Miyako, als Musikhauptstadt, ist Wien in Japan bekannt. Dass neben Klischee beladener Habsburg-Romantik vor allem persönliche Lebensträume und Emanzipation ein Faktor für den Zuzug meist junger Japaner*innen sind, wird dabei oft übersehen.
Sehnsucht nach Wien

Ein Bösendorfer-Flügel war es, mit dem alles begann. Nein, die Rede ist nicht vom Geschenk Kaiser Franz Josephs an das japanische Kaiserhaus vor 150 Jahren, als die diplomatischen Beziehungen zwischen Japan und Österreich ihren Anfang nahmen. Gemeint ist ein Bösendorfer, auf dem Kaino Yūkako mit acht Jahren in Japan zum ersten Mal etwas vorgespielt wurde. „Bösendorfer ist dann auch ein Teil meiner Wiener Sehnsucht geworden“, erzählt die Japanerin, welche mir ihr Alter nicht nennen will. Nach Wien kam sie gegen den Willen ihrer Eltern, die eine Musikkarriere als viel zu unsicher befanden. Statt der ersehnten Musikausbildung wurde es ein Job im juristischen Bereich in Japan. Der Traum eines Musikstudiums in der Musikhauptstadt, der Ongaku no Miyako, wie Wien in Japan oft genannt wird, sollte ein Traum bleiben. Doch Yūkako, unglaublich redselig und vor Energie nur so sprudelnd, setzte ihren Willen letztendlich durch und fügt hinzu: „Natürlich will ich die Sachen machen, die ich als Kind machen wollte, aber nicht konnte. Und so dachte ich mir, ich arbeite und spare Geld und verwirkliche den Traum aus eigener Kraft.“ Seit fünf Jahren studiert sie nun in Wien am Franz-Schubert Konservatorium, mit Klavier als Hauptfach.

Wien als Hauptstadt des Kitschs?

Ähnlich wie in Amerika verbindet man auch in Japan Österreich oft mit kitschiger „Sound of Music“ Romantik, im Falle Wiens kommen dann natürlich noch Sissi oder Johann Strauß hinzu. Geschaffen wird dieses Bild nicht nur von Tourismusverbänden und Reisebüros hüben wie drüben, es gibt durchaus auch eine eigene japanische Kulturproduktion zum Thema „Wien und klassische Musik“. Ein Großteil der Mangas, die in Wien spielen, sind an junge Mädchen und Frauen gerichtete Romanzen. 1976 und 1980 erschienen mit „Wiener Konzert“ (ウィーン協奏曲 Uīn Kyōsōkyoku) und “Wiener Träumerei“ (ウィーン幻想 Uīn Gensō) zwei Werke der Zeichnerin Takemiya Keiko. Sie, eine Feministin, gilt als Vorreiterin des an junge Frauen und Mädchen gerichteten „Boys Love“-Genres, in dem homosexuelle Beziehungen zwischen Männern im Mittelpunkt stehen. Während „Wiener Träumerei“ eine im Sängerknabenmilieu angesiedelte Geschichte mit homoerotischem Einschlag ist, geht es in „Wiener Konzert“ um ein junges Mädchen, das in Wien Klavier studiert. Die Idee zur Geschichte stammt von Co-Autorin Masuyama Hōe, die damit ihren Kindheitstraum, selbst in Wien zu studieren, als Manga verarbeitete. Man könnte fast meinen, der Manga hätte andere junge Frauen zum  Musikstudium in Wien inspiriert.

Kaino Yūkako bei einem ihrer über 100 Besuche des Musicals „Elisabeth“ © Kaino Yūkako
Szene aus „Wiener Capriccio“ (ウィーン奇想曲) von Kana Sachiko aus 1972. Einer der vielen an junge Mädchen gerichteten Mangas, die in Wien spielen und wo Musik das Hauptmotiv ist. © Kodansha

Einen noch größeren Einfluss auf die Entwicklung des Wien-Bildes als Ongaku no Miyako hatte das Musical „Elisabeth“, eine romantisierte Nacherzählung des Lebens der Kaiserin Sissi.1996 kam es nach Japan, aufgeführt von der Takarazuka-Revue aus Tōkyō. Das Merkmal dieser Musiktheatergruppe ist, dass alle Rollen ausschließlich von Frauen dargestellt werden. Für Kaino Yūkako war eben dieses Musical, neben ihrem Erlebnis mit dem Bösendorfer-Flügel, letztlich der wichtigste Grund, um nach Wien zu kommen, wie sie mir im Interview erzählt.

Ongaku no Miyako als in Japan produzierter kitschig-romantischer Traum für junge Frauen?

Tatsächlich könnte man diesen Eindruck gewinnen, sieht man sich alleine die Zahlen über japanische Musikstudent*innen an. An der Wiener Universität für darstellende Musik und Kunst (MDW) sind beispielsweise von 103 japanischen Student*innen 85 weiblich. Nur unter Student*innen aus Südkorea, welches mit Japan geschichtlich und kulturell starke Verbindungen hat, sind Frauen ähnlich überrepräsentiert. Man braucht aber nicht zu glauben, dass die Erfüllung kitschiger Mädchenträume der alleinige Grund fürs Musikstudium wäre. Letztendlich reden wir hier von erwachsenen Frauen, die tausende Kilometer entfernt von ihrer Heimat ein Studium beginnen. Angesichts starrer, konservativer Geschlechterrollen, die in Japan immer noch fest in der Gesellschaft verankert sind, kann der Weg nach Wien durchaus auch als persönliche Emanzipation verstanden werden. Von Frauen wird oftmals erwartet, dass sie ihre Karriere zugunsten der Ehe aufgeben und sich um Haushalt und Kindererziehung kümmern, für die Männer ist nach einigen Jahren an der Universität Arbeit angesagt. Der Gang ins Ausland, noch dazu für eine als wenig aussichtsreich angesehene Musiker*innen Ausbildung, steht in diesem Gesellschaftskonzept nicht unbedingt an erster Stelle. Dies ist auch eine Erklärung dafür, wieso viel mehr japanische Frauen als Männer in Wien Musik studieren, wie Akita Sanae erzählt.

Die 29-jährige Bratschistin Akita Sanae kam mit 24 Jahren nach Wien, um an der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien (MUK) ihren Master zu machen. Mittlerweile ist sie Berufsmusikerin beim Radio-Symphonieorchester des ORF und arbeitet auch an der Wiener Volksoper. Während des Interviews scheint es mir, als hätte Sanae von all meinen Gesprächs-partner*innen die größten Startschwierigkeiten gehabt, sich in Österreich einzuleben. Auf die Frage nach österreichischen Freund*innen folgt zuerst betretene Stille und danach die Aussage, dass es für japanische Student*innen grundsätzlich schwer sei, österreichische Freund*innen zu finden. Sprachliche und kulturelle Unter-

Akita Sanae ist Bratschistin beim RSO des ORF. © Akita Sanae

schiede sind nichts, was man von heute auf morgen überwindet.

Soviel Deutsch zu lernen, wie man für den Unterricht braucht, und dann mit dem prestigeträchtigen Diplom aus der Ongaku no Miyako zurück nach Japan. Das sei der Weg, wie ihn laut meinen Interviewpartner*innen der Großteil der japanischen Musikstudent*innen einschlägt. Akita Sanae habe sich Anfangs auch nie vorstellen können, in Wien eine Stelle als Musikerin anzutreten. Mittlerweile schätzt sich glücklich, durch harte Arbeit einen Job als Musikerin in Wien ergattert zu haben.  Dies sei nicht für alle Japaner*innen möglich, wie mir meine Gesprächspartner*innen versichern. Zuerst Österreicher*in, dann EU-Bürger*in, dann Japaner*in – so laute bei Jobcastings die ungeschriebene Regel, wer bevorzugt werde. Auch die Anzahl der japanischen Lehrkräfte auf österreichischen Musikunis geht über eine Handvoll nicht hinaus. Auf der prestigeträchtigen MDW unterrichteten 2017 beispielsweise 13 Japaner*innen; mit den zusätzlichen 11 nicht mehr aktiven Lehrkräften macht dies 0,9 Prozent des Lehrkörpers aus. Und dies, obwohl japanische Student*innen etwa auf der MDW nach den Deutschen die größte Gruppe an Auslandsstudent*innen darstellen. Berufliche Perspektivlosigkeit ist einer der Gründe, weshalb viele Japaner*innen nach dem Studium wieder nach Japan zurückkehren.


„Japanesen am wiener Conservatorium“ – Zur Einseitigkeit Japanisch-Österreichischen Kulturtransfers

Österreich und Japan pflegen traditionell freundschaftliche diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen. Sie begannen mit der Ankunft der ersten Österreichischen Delegation in Japan 1869 und dem Abschluss des ersten Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrages, 1869. Zu diesem Anlass wurde als österreichisches Gastgeschenk der schon erwähnte Bösendorfer-Flügel überreicht. Es war eine Zeit, in der es vor allem Bürger*innen aus größeren europäischen Städte durch die Industrialisierung zu einem gewissen Wohlstand brachten. Tourismus war dadurch nicht mehr nur Reichen vorbehalten, sondern wurde für den immer größer werdenden Mittelstand zu einem Teil des Alltags. Im “Wiener Baedeker”, dem ersten Wiener Reiseführer aus dem Jahr 1868, liest man vom musikalischen “Volkscharakter” der Wiener*innen. Laut Überzeugung von “Tanzgelehrten” wie den Gebrüdern Strauß, sei es so, dass “man nur in Wien verstehe, zum Tanz zu spielen”. Es sei auf das Engagement des Mittelstands zurückzuführen, dass in Wien die “deutsche Tonkunst” der italienischen Paroli bieten könne. Der “Baedeker” war ein  großer Erfolg, und fortan verbreitete sich das Bild von Wien als Musikstadt auch international.

Im April 1887 schickte das japanische Bildungsministerium eine Delegation an das Wiener Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde, die Vorgängerinstitution der MDW. Ziel war es, ähnliche Bildungsstrukturen auch in Japan aufzubauen. Teil des Planes war auch die Entsendung japanischer Musikstudent*innen nach Wien. “Japanesen am Wiener Conservatorium” titelte “Die Presse”. Der Kulturaustausch gestaltete sich zunächst jedoch einseitig. Österreichische Musikgelehrte und Komponisten gingen in großer Zahl nach Japan, aber erst 1933 promovierte mit Arima Daigorō der erste Japaner im Fach Musikwissenschaften an der Universität Wien. Durch seine hervorragenden Deutschkenntnisse war er bis weit nach dem zweiten Weltkrieg der wichtigste Motor für die musikalischen Beziehungen zwischen Japan und Österreich. Arima lud zahlreiche österreichische Musiker*innen nach Japan ein, darunter den Dirigenten Kurt Wöss, der seit 1938 NSDAP-Mitglied war und während des Nationalsozialismus Karriere gemacht hatte. Mit Hilfe Arimas wurde er Leiter des NHK-Symphonieorchesters und Lehrer an der Musikhochschule in Tōkyō. Dass Arimas Forschungsschwerpunkt auf der Geschichte japanischer Musik lag, ist in Österreich beinahe vergessen.

Filmplakat zu Tanaka Michikos Film „Letzte Liebe“. © Wiener Film KG

Die erste japanische Austauschstudentin inskribierte 1930 auf der MDW. Ihr Name war Tanaka Michiko, eine junge Frau aus guten Hause. Nach Österreich kam sie nicht freiwillig, sondern sie wurde von ihren Eltern aufgrund ihrer Affäre zu einem verheirateten Mann nach Wien geschickt. Tanaka machte im deutschsprachigen Raum Karriere als Sopransängerin und Schauspielerin. Auf der Bühne und der Leinwand wurde sie durch Rollen bekannt, in denen sie Asiatinnen darstellte. Etwa Cio-Cio-san in Madame Butterfly oder als Geisha in „Yoshiwara“. Fast schon autobiografisch erscheint daher Tanakas zweiter Film „Letzte Liebe“ aus dem Jahr 1935, in dem sie eine japanische Austauschstudentin in Wien darstellt. Trotz der Tatsache, dass Tanakas ausschweifender Lebensstil in Wien fast dazu führte, dass sie zurück nach Japan geschickt worden wäre, war die Rolle der Sanada Namiko (gespielt von Tanaka) die einer braven, unterwürfigen Studentin, die stets mit Verniedlichungsformen angesprochen wurde. Der Wiener Musikwissenschaftler Juri Giannini spricht in diesem Zusammenhang von einer Exotisierung Tanakas und dem bewussten Einsatz von Klischees, welche in Österreich gegenüber asiatischen Frauen herrschten. Weiters macht er darauf aufmerksam, dass jedes Mal, wenn Tanaka im Film ein japanisches Lied anstimmt, dies für die Manifestierung des Status Tanakas als Exotin bestimmt ist. Dass Tanaka lange

Zeit mit ihrer Rolle als exotischer weiblicher Aufputz unzufrieden war, davon zeugt auch die Aussage in ihrer 1954 nur auf Japanisch erschienen Autobiografie: „Ehrlich gesagt, habe ich die Europäer gehasst“.

Angesprochen darauf, ob sie mit Tanaka Michiko mitfühlen könne, antwortet mir Akita Sanae, dass sie selbst nur selten exotisiert worden sei. Insbesondere in der Musikwelt tätige Österreicher*innen wissen durch regelmäßige Auftritte in Japan von der Popularität der Ongaku no Miyako. Auch Japaner*innen, die in österreichischen Orchestern spielen, seien keine Seltenheit mehr. Sie sei vielmehr froh, als Ausländerin in Österreich nicht so behandelt worden zu sein, wie Ausländer*innen in Japan.


FREMD IN JAPAN

“Ich kenne da eine japanische Kellerbar, da ist es total ruhig“, schlägt Nakamura Tarō* vor. Ich bin erleichtert, schließlich war es im Cafe, in dem wir uns zuerst treffen wollten, viel zu laut für ein Interview. In die engen Seitengassen des ersten Bezirks verschlägt es mich selten, Tarō ist hier zu Hause und kennt sich dementsprechend gut aus. Ein günstiges Zimmer, welches er von einer Mitstudentin aus Japan erhalten hat, erlaubt es ihm, im teuersten aller Bezirke zu einem leistbaren Preis zu wohnen. Wie die meisten aller japanischen Musikstudent*innen, hat auch Tarō vor allem am Anfang seiner Zeit in Wien öfter die Hilfe anderer Japaner*innen in Anspruch genommen. Mittlerweile besteht sein Wiener Freundeskreis aber größtenteils aus Nicht-Japaner*innen, sein Deutsch ist nahezu makellos. Aus den anfänglich geplanten zwei Jahren wurden sieben, in Japan fühle er sich mittlerweile „wie ein Fremder“, erzählt er.

Auch Tarōs Lebensweg ist so gar nicht „typisch Japanisch“. Wie auch Yūkako hat er den Weg zum Profimusiker erst als zweiten Bildungsweg eingeschlagen. Beide beteuerten immer wieder, sichtlich stolz, keine „normalen“ Japaner*innen zu sein. Tatsächlich ist in Japan der gesellschaftliche Druck zur Homogenität sehr hoch. „Der Nagel, der hervorsteht, wird hineingeschlagen“ ist in Japan nicht nur ein Sprichwort, sondern die Idee dahinter auch treibende Kraft nationalkonservativer japanischer Regierungspolitik. Ein Land „einer Sprache, einer Kultur und einer Rasse“ sei Japan, so der damalige Premier Asō Tarō im Jahr 2005.

Demzufolge sind autoritäre Strukturen auch im japanischen Unterrichtssystem nicht unüblich. „An Österreich sehr überrascht hat mich, wie Professor Müller, mein Lehrer, mir gleich das Du-Wort angeboten hat. Und ebenso, dass ich ihn einfach Herbert nennen kann. Das wäre in Japan undenkbar, deswegen blieb ich eine Zeit lang noch beim Sie“, so Akita Sanae. Weiters gelten Japaner*innen bei österreichischen Lehrenden zwar als fleißig und technisch begabt, es fehle ihnen aber am Gefühl, an der Klangfarbe. Eine Behauptung, die die MDW-Diplomandin Satō Noriko schon 1992 in ihrer Diplomarbeit über japanische Musikstudent*innen aufstellt und die auch von meinen Interviewpartner*innen öfters wiederholt wird. Das starre, hierarchische japanische Unterrichtssystem böte nicht viele Möglichkeiten zur individuellen Entfaltung des musikalischen Könnens. In Wien sei das anders.


Verfliegt der Zauber der Musikhauptstadt?

Dass die Anzahl an japanischen Musikstudent*innen in Zukunft zurückgeht, ist aber nicht zu erwarten. Einerseits wird sich Wien auch weiterhin als Musikstadt verkaufen. Die Anzahl japanischer Tourist*innen steigt von Jahr zu Jahr, 2018 waren es etwas mehr als 200.000, die in der Ongaku no Miyako übernachteten. Wien ist in Japan also beliebt wie nie zuvor.

Alle meine drei Gesprächspartner*innen scheinen aus japanischer Sicht her „Nägel, die herausstehen“ geblieben zu sein. Ob dies an der im Vergleich zu Japan individualistischeren Gesellschaftsstruktur Österreichs liegt? Vielleicht. Mit Sicherheit aber liegt es am persönlichen Mut und Ehrgeiz dreier junger Menschen, welche sich trotz allen Gegenwindes ihre Träume verwirklichen konnten. Hier, in der „Ongaku no Miyako“.



***

Es folgt: Pressetext (verfasst im November 2018)

Wien als romantischer Sehnsuchtsort für junge Japaner*innen

Wer regelmäßig klassische Konzerte und Opern in Wien besucht, dem/der werden sie sicher schon aufgefallen sein: japanische Tourist*innen, welche einen bedeutenden Teil des Publikums ausmachen. Wien wird in Japan als Ongaku no Miyako, also als die Musikhauptstadt vermarktet. Dass dabei typisch wienerische Klischees bedient werden, ist im Kontext der Tourismusindustrie nicht weiter überraschend. Der Einfluss des Bildes von Wien als Welthauptstadt der klassischen Musik ist etwa an den Musikschule der Stadt erkennbar. Vor allem weibliche Studentinnen aus Japan sind dort in hoher Anzahl inskribiert. Für einige dieser Schulen ist der Zulauf japanischer Student*innen schon ein derartig großer Wirtschaftsfaktor geworden, dass man sogar eigene Dolmetscher*innen anstellt um den Unterricht reibungslos ablaufen lassen zu können.

Gregor Wakounig hat Japaner*innen unterschiedlichen Alters befragt, welche mit dem Ziel in der Ongaku no Miyako Musik zu studieren, nach Wien gekommen sind. Wie viel bleibt über von den romantisch verklärten Klischees der Musikhauptstadt, wenn man einmal hier angekommen ist? Wie passen Ottakring und Favoriten in diese Klischeebilder? Und steht die klassische Musik nach einigen Jahren Wien wirklich noch im Mittelpunkt des Lebensentwurfes?

*Name auf Wunsch des Interviewten anonymisiert
Text: Gregor Wakounig, Voiceover: Tanja Malle

Wie Kyūdō nach Wien kam

Ein Schuss ins Schwarze: Über das japanishe Langbogenschießen

Die Schützin spannt den Bogen. Es hat den Anschein, als wolle sie die Sehne über den vollen Auszug hinweg ziehen. Dann folgt der Abschuss. Mit der Befreiung des Pfeils hallt die Sehne für einen Augenblick nach – tsurune nennt man diesen Klang im Japanischen.

In Österreich gibt es seit einigen Jahren eine besondere Möglichkeit, ein Stück Japan zu erleben: durch Kyūdō, japanisches Langbogenschießen. Übersetzt bedeutet der Begriff etwa „der Weg des Bogens“ und bezeichnet das Schießen mit einem gut zwei Meter langen Bogen (ursprünglich aus Bambus, heute aus Fieberglas oder Carbon gefertigt) auf eine 28 Meter entfernte, schwarz-weiße Zielscheibe: das Mato.

Über die Jahrhunderte hinweg entwickelte sich eine Vielzahl an Schulen und Schießformen, wie beispielsweise das Schießen im Knien, im Stand oder zu Pferd. Kyūdō im Stand wird heute am häufigsten praktiziert; hier haben sich vor allem zwei Techniken etabliert. Auf der einen Seite gibt es das zentrale Heben des Bogens (Shōmen-Stil), das in Japan am meisten verbreitet ist. Dieser Stil leitet sich aus dem traditionellen Bogenschießen bei feierlichen Zeremonien am Hofe des Kaisers ab. Auf der anderen Seite steht das seitliche Heben (Heki-Stil), das sich aus dem Bogenschießen der Kriegerklasse, eingesetzt bei Kampf und Jagd, entwickelte.

Über die Jahrhunderte hinweg entwickelte sich eine Vielzahl an Schulen und Schießformen, wie beispielsweise das Schießen im Knien, im Stand oder zu Pferd. Kyūdō im Stand wird heute am häufigsten praktiziert; hier haben sich vor allem zwei Techniken etabliert. Auf der einen Seite gibt es das zentrale Heben des Bogens (Shōmen-Stil), das in Japan am meisten verbreitet ist. Dieser Stil leitet sich aus dem traditionellen Bogenschießen bei feierlichen Zeremonien am Hofe des Kaisers ab. Auf der anderen Seite steht das seitliche Heben (Heki-Stil), das sich aus dem Bogenschießen der Kriegerklasse, eingesetzt bei Kampf und Jagd, entwickelte.

Play Video
Der Bogen wird von Yuse Ayako
im Stil des Heki-Ryu-Insai-Ha gespannt.
© Videoaufnahme und Bearbeitung: Kobayashi Norio;
Musik: www.purple-planet.com.
Der Blick von Diethard Leopold ist auf das Mato (Zielscheibe) gerichtet.
© Bild: Elena Koblizek.

Ein japanischer Boger kommt nach Wien

In den Jahren 1984 bis 1986 traf der heutige Vorsitzende des Österreichischen Kyūdō Verbandes, Diethard Leopold, das erste Mal auf das Langbogenschießen.

Während eines zwei-jährigen Lehraufenthaltes in Japan trainierte er den Shōmen-Stil (zentrales Heben) und legte Prüfungen ab. Als Träger des dritten Dan (im Kyūdō gibt es ein Zehn stufiges System, wobei der zehnte Dan als höchste Auszeichnung selten vergeben wird) kam er nach Österreich zurück. In Wien stellte er fest, dass es weder einen Verein noch andere Schütz*innen gab und fing an, Interessierte im Schießen zu unterweisen. Japanisches Langbogenschießen fasste somit bei uns Fuß und am 27. Februar 1987 wurde der erste Österreichische Kyūdō Verein gegründet.

Zur selben Zeit fand 1987 ein Kyūdō-Seminar in dem kleinen Ort Geras statt. Das Bogenschießen wurde im Heki-Stil vorgeführt und in den folgenden Jahren regelmäßig veranstaltet. Aus dieser Zeit gingen zwei Schützen besonders hervor: Martin Berghold schloss sich dem bereits existierenden Kyūdō-Verein in Wien ab 1989 an, trainierte aber im gelernten Heki-Stil weiter. Heute ist er Ob-

Obmann des Momiji-Kai, jenes Vereins, der mich selbst auf den Weg des Bogens brachte. Außerdem übte sich der Gründer des Linzer „Stahlstadt Dōjō“ (traditionelle, japanische Trainingshalle), Peter Hammerschick, weiter im Heki-Stil. Er nahm 1992 bei einem Kyūdō-Wettbewerb in Japan teil und belegte erfolgreich den 7. Platz. Erstmals fand im selben Jahr das Bogenschießen seinen Weg in eine österreichische Zeitschrift. Das Nachrichtenmagazin Profil berichtete über den Erfolg des Schützen im Land der aufgehenden Sonne und gab einen ersten Einblick in die Welt des Kampfsports.

Nachrichtenmagazin Profil Nr.24 vom 19.Juni 1992: im Bild ist Peter Hammerschick zu sehen.
 Besuch aus dem Ausland

Als der heute pensionierte Universitätslehrer für Kyūdō, Mori Toshio, das erste Mal nach Wien kam, war er sehr erstaunt, mit welchem Ernst, aber auch mit welcher Begeisterung die österreichischen Schütz*innen trainierten. Denn 1992 war die Freude groß, als man unerwartet hohen Besuch aus Japan bekam. Inagaki Genshiro, Halter des 9ten Dan und Leiter der Heki-Ryu-Insai-Ha Schule in Japan, kam während seiner Europareise erstmals nach Wien – und das für ein drei tägiges Kyūdō-Seminar. Zu dieser Zeit war er mit seinen Schülern unterwegs, einer davon war Mori Toshio. Dieser sollte Jahre später, wie auch einige seiner Kollegen, die Aufgabe des Lehrers übernehmen, und Kyūdō in Europa unterrichten. Auch war Mori Toshio bis zu seiner Pensionierung Trainer des Kyūdō Klubs der Tsukuba Universität in Ibaraki, Japan.

Persönliche Begegnung

Ich traf Mori Toshio das erste Mal während eines Seminars beim Verein Momiji-Kai. Mit meinen damals bescheidenen Japanisch-Kenntnissen warf man mich gleich zu Beginn des Lehrgangs ins kalte Wasser: Ich möge doch bitte seinen Vortrag und die Fragerunde danach dolmetschen. Mehr schlecht als recht versuchte ich, zwischen den Schütz*innen und dem Meister zu vermitteln. Damals hatte ich kaum mehr als ein halbes Jahr Erfahrung im Bogenschießen. Als beide Seiten begannen, mit Fachbegriffen um sich zuwerfen, warf ich beschämt das Handtuch. Mit einem Misch-Masch aus Englisch, brüchigem Japanisch und der Hilfe von Papier und Stift gelang es dem Meister und mir aber, alle Fragen 

Die Autorin mit Mori Toshio bei einem seiner Lehrgänge.
© Bild: Elena Koblizek.

halbwegs zufriedenstellend zu beantworten. Das Herzrasen, das ich bei meinem ersten, unglücklichen Dolmetsch-Versuch hatte, vergesse ich bis heute nicht. Ebenso wenig die skeptischen Blicke, die man mir bei meinen Übersetzungen zuwarf.

Bögen eines universitären Schießklubs in Japan.
© Bild: Kobayashi Norio.

Als Schüler von Inagaki Genshiro hielt Mori Toshio alle seine Lehrgänge im Heki-Ryu-Insai-Ha-Stil ab. Er brachte mir viel über den Umgang mit Pfeil und Bogen bei. Erst nach seinem Seminar begann ich zu verstehen, dass körperliche Bewegungen mit dem geistigen Zustand zusammenhängen. Eine schlechte Haltung kann beispielsweise an den eigenen Sorgen oder Problemen liegen. Man hört oft, dass beim Bogenschießen die Oberarme und der Rücken trainiert werden. Bei Kyūdō aber steht der ganze Körper, von Kopf bis in die Zehenspitzen, unter Spannung. Schon ein flüchtiger Gedanke kann den Körper so stark ablenken, dass die Gesamtspannung nachlässt. Moris „考えすぎる!

(kangae sugiru!) Du denkst zu viel!“ hilft mir auch heute noch, unnötige Gedankengänge auf die Seite zu schieben und mich ganz auf den Bewegungsablauf zu konzentrieren.

Kyūdō trainiere ich für den Moment des Schusses. Wenn sich die Körperspannung in der Millisekunde des Pfeilabschusses löst und die eigene Form vielleicht durch einen Treffer des Zieles gelobt wird. Das ist die Freude am Schießen. Man entspannt und fokussiert sich gleichzeitig. Jeder Schuss löst das „Zu-Viel-Denken“ auf. Bei Kyūdō entscheidet man selbst wann, wie, und vor allem, warum man einen Pfeil abschießt. Das macht es so aufregend und persönlich.

「弓道を実施するには困難な状況にもかかわらず一生懸命に取り組んでいるなーと感じました。」

„Obwohl es schwierig ist, Kyūdō in Österreich auszuüben, hatte ich das Gefühl, dass hier mit vollem Einsatz trainiert wird.“ (E-Mail Austausch mit Mori Toshio, freie Übersetzung der Autorin.)

Nach seinem ersten Wienaufenthalt 1992 kam Mori Toshio ab etwa 2000 jährlich in die Hauptstadt. Bei jedem seiner über neun Besuche widmete er den österreichischen Schütz*innen viel Zeit und bemühte sich, das Langbogenschießen korrekt und geduldig zu vermitteln. Die Reisen nach Wien genoss er auch durch Spaziergänge, für die er neben den Lehrgängen Zeit fand. Die Stadt mit ihren alten Straßen empfand er als wunderschön, und Mori freute sich über das gute Essen und den Wein. Während eines Gesprächs beim Abendessen meinte er, wie bewundernswert es sei, Kyūdō in Wien zu trainieren, denn das ist eigentlich gar nicht so leicht. Man muss geeignete Orte suchen, ist von Öffnungszeiten der Sporthallen abhängig, Material zu beschaffen ist schwierig, und es gibt kaum Lehrer*innen. Die Zielstrebigkeit der Wiener Schütz*innen überraschte ihn daher jedes Mal aufs Neue.

Kyūdō breitet sich in Österreich aus

Am 10. Mai 1995 kam es zur offiziellen Gründung und internationalen Anerkennung des Österreichischen Kyūdō-Verbandes. Der vorherige Verein in Wien wurde in Seishin-Kyūdō-Verein umbenannt und gemeinsam trat man mit „Stahlstadt Dōjō Linz“ dem Verband bei. Durch die Gründung des Verbandes konnte man dem Europäischen Kyūdō-Verband beitreten, der wiederum dem Internationalen Kyūdō-Verband untersteht. Dadurch gab es nun eine offizielle Verbindung mit Japan und einer Teilnahme an beispielsweise internationalen Seminaren stand nichts mehr im Wege.

Blick auf den Zielbereich während eines Kyūdō-Wettbewerbs in Japan 2018. © Bild: Elena Koblizek.

In Wien kam es im Jahr 2000 schließlich zur Trennung der zwei unterschiedlichen Schießformen. Während die Schütz*innen im Shōmen-Stil weiterhin als Seishin-Kyūdō-Verein bestanden, gründeten die Heki-Schütz*innen am 19. Mai 2000 den Verein Momiji-Kai. Beide traten dem Österreichischen Verband bei. Außerdem begann man Wettbewerbe auszutragen, wie etwa die österreichische Meisterschaft, die seit 2008 jedes Jahr Anfang Juni stattfindet. Weiters entstand eine selbstständige Kyūdō Gruppe im Mozarteum Salzburg, auch ein Verein in Graz etablierte sich. Die Mitgliederzahl im Österreichischen Kyūdō Verband wuchs bis ins Jahr 2017 auf 76 Personen, aufgeteilt auf insgesamt fünf Vereine. Daneben gibt es weitere, selbstständige Gruppen; die Gesamtzahl aktiver Schütz*innen dürfte aber nicht mehr als hundert betragen.

 

Japanische Studierende reisen nach Wien

「さて、みんなはこの旅で何を見、何に触れ、何を感じてくれたのだろうか。純粋な心で素直に感じたこと、何かしら刺激されたこと、それそのものが大切なものだと思うんだ私は。それを大切にして欲しい。忘れないでいてほしい。」

”Also, was habt ihr denn auf dieser Reise gesehen, was berührt, was habt ihr empfunden? Ich bin jemand, der glaubt, dass die Sachen wichtig sind, die man ehrlich und mit reinem Herzen fühlt. Dinge, die uns anregen. Ich möchte, dass ihr diese Dinge wertschätzt. Vergesst sie bitte nicht.” (Tagebuchauszug von Matsuo Makinori; freie Übersetzung der Autorin.)

Vor der Übernahme des Kyūdō-Klubs der Tsukuba Universität, war Matsuo Makinori an der Budō Universität in Chiba tätig. Mit seinen Student*innen unternahm er während dieser Zeit regelmäßig Reisen nach Wien, die Erste erfolgte im Februar 2004 und dauerte acht Tage. In dieser Zeit veranstaltete der Verein Momiji-Kai ein drei tägiges Seminar im Heki-Stil für interessierte Schütz*innen und Neuanfänger*innen. Vereinsmitglieder schossen mit den japanischen Gästen schon am Freitagabend und gaben ihnen einen Einblick in den wöchentlichen Trainingsablauf. Im Anschluss tauten die Student*innen bei Schnitzel und Bier langsam auf und versuchten, ihre Sprachbarrieren zu überwinden. Begeistert wurde von den Erlebnissen in Wien erzählt:

A氏は「貴族になった気分」とM氏に英語でのたまったらしい。

„Ich fühlte mich wie ein Adeliger“, erzählte Student A. dem Herrn M. offenbar extra auf Englisch. (Tagebuchauszug: Ein Student berichtet vom Besuch der Wiener Staatsoper.)

Der Meister gibt Antworten und Hilfestellungen beim Seminar. ©Bild: Karoly Marsi.

Samstag und Sonntag kamen dann auch Anfänger*innen sowie Schützen*innen anderer Vereine zum Seminar. Nach einer zeremoniellen Kyūdō-Vorführung von Matsuo Makinori durften die Anfänger*innen selbst zum Bogen greifen – unter der Aufsicht der japanischen Student*innen. Erfahrene Schütz*innen wurden vom Lehrer betreut und korrigiert.

「さて、射込みを継続し、各人にアドバイスを与える。上級者はなかなか上達が目には見えぬが、初級者(巻き藁組)は大変よくなった。」

 

”So, jetzt geht es mit der Schießübung weiter. Jedem gebe ich eine eigene Korrektur. Bei den erfahrenen Schütz*innen sehe ich fast keine Fortschritte, die Anfänger*innen (jene Gruppe, die auf das Strohziel schießen) haben sich aber sehr verbessert.”
(Tagebuchauszug von Matsuo Makinori; freie Übersetzung der Autorin.)

Die Tage beschreibt Matsuo Makinori als unterhaltsam, aber auch anstrengend. Er widmet jedem*r Schützen*in Zeit, beobachtet genau, welche Fehler gemacht werden und ob man seine Korrekturen zufriedenstellend umsetzt. Am Ende der Reise hofft er, dass die Tage sowohl für die Wiener Schütz*innen als auch für die japanischen Student*innen lehrreich waren.


Ausblick

Nach dem ersten japanischen Seminar 1992 in Wien stärkte jeder Besuch die Freundschaft zwischen den Schütz*innen des Momiji-Kai und den japanischen Heki-Meistern. Unsicher ist zwar, ob die beiden Lehrer wieder nach Wien kommen, es wird aber in Zukunft regelmäßig Kyūdō- Seminare geben. Beispielsweise wird Kurosu Ken im Sommer 2019 einen Lehrgang im Heki- Stil abhalten. Auch wird im Herbst 2019 ein Kyūdō-Seminar im Shōmen-Stil angeboten. Ein regelmäßiger Austausch zwischen Japan und Österreich im Bereich des Bogensports bleibt also erhalten, gestärkt durch die gemeinsame Freude am Schießen.

zu Gast im Dōjō

Ein ganz besonderes Beispiel, wie durch Kyūdō die japanische Kultur lebhaft zum Ausdruck kommt, ist das Wienerberg-Dōjō. Das Gebäude erinnert authentisch an eine japanische Trainingshalle, die Kamiza (der Ehrenplatz des Raumes; oft lässt sich hier auch ein kleiner Shintō-Schrein finden) hat hier ebenso Platz, wie ein Trainingsbereich mit Makiwara (aufgestellte Strohballen, auf die aus etwa zwei Metern Entfernung geschossen wird).

Wienerberg-Dōjō: Die Bauarbeiten wurden 2003 abgeschlossen.
© Bild: Elena Koblizek.

Ein schön gepflegter Rasen regt vor allem im Frühjahr mit seinem satten Grün zum Training an. Denn für viele hier ist Kyūdō eine auflockernde Übung, verbunden mit viel Konzentration. Eine naturverbundene Atmosphäre hilft, in Ruhe zu trainieren. Auch ein Bambushain ist zu sehen. Im Zielbereich wurde dem japanischen Vorbild entsprechend Sand dicht angehäuft, worauf man vor dem Training die runden, schwarz-weißen Ziele aufstellt. Eine in das großzügig angelegte Dōjō integrierte Teestube begeistert vor allem frierende Schütz*innen im Winter. In der Trainingshalle selbst gibt es nämlich nur im Abschussbereich Heizstrahler, die den hohen Innenraum kaum erwärmen.

Innenansicht des Wienerberg-Dōjō. © Bild: Elena Koblizek.

Mittlerweile gibt Diethard Leopold keine Anfängerkurse oder Seminare mehr; Interessierte sind aber jederzeit herzlich willkommen, sich das Training anzusehen. Ein Beitritt in den Verein erfolgt dann nach individueller Absprache. Dieses System gilt bei den meisten Vereinen und Gruppen und erleichtert einen spontanen Einblick in die Welt des japanischen Bogenschießens.

Im Verlauf unseres Gespräches stellt sich mir die Frage, ob es im österreichischen Kyūdō eigentlich viel

Nachwuchs gibt. Begeistern sich auch junge Leute für den Bogensport? In folgendem O-Ton hören wir, warum Herr Leopold die Frage eher verneint.

Diethard Leopold ist nicht nur Vorsitzender des Kyūdō-Verbandes, sondern auch Präsident der Österreichisch-Japanischen Gesellschaft und trägt mit zahlreichen Veranstaltungen zu einem lebhaften Kulturaustausch zwischen Japan und Österreich bei. Beispielsweise hegt er großes Interesse für Nō (japanisches, traditionelles Theater) und so fanden bereits vereinzelt Nō-Workshops im Wienerberg Dōjō statt. Für sein Engagement wurde Diethard Leopold am 3. November 2018 von der japanischen Regierung der „Orden der Aufgehenden Sonne am Halsband“ verliehen. Für ihn eine Motivation und Freude mehr, weiterhin aktiv für die freundschaftlichen Beziehungen mit Japan tätig zu sein.

Kulturaustausch durch eine Kampfkunst: Japanisch-Österreichische Beziehungen in Wien

Durch eine neue Kollaboration mit der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien wird ab dem Frühjahr 2019 Kyūdō im Curriculum angeboten. Außerordentliche Studierende können demnach als Freifach Bogenschießen belegen, das Training wird im Wienerberg Dōjō stattfinden. Auch am Mozarteum Salzburg wird schon seit längerem Kyūdō angeboten. Das Training findet im Rahmen einer Lehrveranstaltung statt, die als freies Wahlfach in allen Studienrichtungen belegt werden kann.

Außerdem gibt es ein Schüleraustausch-Programm mit Japan auf dem Gymnasium der Stiftung Theresianische Akademie Wien. Hier hat vergangenes Jahr ein aktiver Schütze japanische Schüler*innen eingeladen, das Dōjō zu besuchen und dem Training beizuwohnen. So hatten sie die Gelegenheit, ein Stück eigene, japanische Kultur in Wien zu erleben.

Pfeile und Pfeilhalter einer japanischen Studentin. ©Bild: Kobayashi Norio.

zu guter letzt: heutige vereine in österreich

Für jene, die sich das Langbogenschießen mal aus der Nähe ansehen möchten, gibt es hier den Link des Österreichischen Kyūdō Verbandes: kyudoverband.atUnter Links: „Gruppen“ sind die aktiven Vereine des Verbandes, deren Standorte und Webseiten mit Kontaktadresse aufgelistet.

 

***

Es folgt: Pressetext (verfasst im November 2018)

Ein Schuss ins Schwarze: Über das japanische Langbogenschießen

Zum Kennenlernen und Praktizieren der japanischen Kultur gibt es in Wien bereits viele Jahre eine ganz besondere Möglichkeit: Kyūdō. Übersetzt bedeutet der Begriff etwa „der Weg des Bogens“ und bezeichnet das Schießen mit einem gut zwei Meter langen Bogen (ursprünglich aus Bambus, heute auch aus Fieberglas oder Carbon gefertigt) auf eine 28 Meter entfernte, schwarz-weiße Zielscheibe: das Mato.

Im alten Japan wurde das Bogenschießen nicht nur im Krieg, sondern auch bei feierlichen Ritualen am Hofe des Kaisers eingesetzt. So entwickelte sich über die Jahrhunderte hinweg eine Vielzahl an Schulen und Schießformen – kaum verwunderlich also, dass sich auch heute unterschiedliche Stile in Japan finden lassen. Eines haben sie aber gemeinsam: Kyūdō bezeichnet eine Kunst, die den Geist von Budō verkörpert. Übersetzen lässt sich Budō mit dem Wort „Kampfkünste“ und steht im Zusammenhang mit Bushidō, dem Weg des Kriegers. Zentraler Punkt des Schusses mit dem Bogen ist, sich selbst körperlich sowie geistig zu steigern. Vor allem der eigene Fokus steht im Mittelpunkt, mehr noch als das eigentliche Treffen des Ziels.

Österreichweit ist Kyūdō nicht nur in Wien zu finden, heutzutage wird auch beispielsweise in Graz, Linz oder Salzburg praktiziert. Ein reger Austausch besteht außerdem mit Lehrern von Kyūdōklubs an japanischen Universitäten, der bereits in den achtziger Jahren seinen Anfang nahm. Jährlich finden Kyūdō-Seminare statt, bei denen japanische Lehrer die Schützen und Schützinnen unterweisen, und gleichzeitig wurde es in den letzten Jahren japanischen Student*innen ermöglicht, Wien während Exkursionswochen kennenzulernen. So entwickelte sich mit der Zeit eine enge Freundschaft zwischen Japan und Österreich, verbunden durch das gemeinsame Bogenschießen.

Wie kam es aber nun dazu, dass Kyūdō seinen Weg nach Wien fand? Mit dieser Frage wird sich Elena Koblizek im Weiteren beschäftigen und einen Einblick in die österreichische Geschichte des Schießens mit dem japanischen Langbogen geben.

Text: Elena Koblizek

Floridsdorf-Katsushika

Internationale Gäste in Floridsdorf: Bezirksoberhäupter aus Österreich und Japan treffen sich zum Jubiläum ihrer Freundschaft

Schon unzählige Male trafen die Oberhäupter der Bezirke Floridsdorf und Katsushika zusammen – mal in Japan, mal in Österreich. Doch dieses Mal ist es etwas Besonderes, denn es ist das 30. Jubiläum ihrer Freundschaft und das 150. Jubiläum der diplomatischen Beziehungen zwischen Österreich und Japan. Der Bezirksvorsteher des 21. Wiener Gemeindebezirks, Georg Papai, und sein Team scheuten keine Mühen, den Gästen aus dem Bezirk Katsushika, unter der Leitung von Bezirksbürgermeister Aoki Katsunori, alles zu zeigen, was Wien – und natürlich viel mehr Floridsdorf  ausmacht.
Von links nach rechts: Tsuchiya Toshiaki, Sascha Göbel, Tsutsui Takahisa, Aoki Katsunori, Georg Papai, Ilse Fitzbauer, Akiba Yūko, Noriko Weiß © Olivia Weiß

Viele Bezirke, Städte oder Gemeinden gehen internationale Verbindungen und Freundschaftsbeziehungen mit anderen Gemeinden ein, aber leider trift man sich nur selten. Doch eine Partnerschaft zwischen zwei Bezirken aus sehr weit entfernten Ländern könnte eine der aktivsten sein. Die Rede ist vom 21. Wiener Bezirk Floridsdorf und dem Tōkyōter Bezirk Katsushika, die seit 1987 Schwesternbezirke sind. Die Delegation aus Japan war von 7. bis 11. November 2018 in Wien zu Besuch und absolvierte ihr stressiges, voll bepacktes Programm mit Bravur. Als Anlass bot sich gleich ein mehrfaches 

Jubiläum, nämlich das der diplomatischen Beziehungen zwischen Österreich und Japan, welches sich 2019 zum 150. Mal jährt, sowie das des 30-jährigen Jubiläums der Freundschaftsbeziehung zwischen den beiden Bezirken 2017.



Unsere Gruppe

Um der japanischen Delegation den Bezirk Floridsdorf und die Arbeit der Bezirksvorstehung am besten und effektivsten präsentieren zu können, wurde für die zwei Ehrengäste, Bezirksbürgermeister Aoki Katsunori und den Vorsitzenden des Bezirksparlaments, Tsutsui Takahisa, und deren Begleiter*innen, Tsuchiya Toshiaki (Abteilungsleiter für Internationale Kommunikation) und Akiba Yūko (stellvertretende Abteilungsleiterin der Verwaltung des Bezirksparlaments), ein dichtes, drei-tägiges Programm zusammengestellt. Dieses sollte sie und ihre österreichischen Gastgeber*innen zwölf Stunden pro Tag auf Trab halten. Der Büroleiter der Floridsdorfer Bezirksvorstehung, Sascha Göbel, war dafür zuständig, die Gäste zu den einzelnen Programmpunkten zu führen. Der Bezirksvorsteher, Georg Papai, und seine Stellvertreterin, Ilse Fitzbauer, wohnten diesen meist abwechselnd bei, um die eigenen Pflichten nicht vernachlässigen zu müssen und auf der anderen Seite die Delegation nie alleine zu lassen. Und damit es zu keinerlei Verständigungsschwierigkeiten zwischen den beiden Seiten kommt, war die Dolmetscherin Noriko Weiß jederzeit mit vollem Einsatz dabei. Auch ich durfte am gesamten Programm teilhaben und alles hautnah mitverfolgen.



So viel zu tun, so wenig Zeit…

Von Kultur über Sightseeing bis hin zu Verwaltungsangelegenheiten war im abwechslungsreichen Programm alles dabei. Die Highlights des ersten Tages (8.11.) waren definitiv der Besuch beim Gemeinderatsvorsitzenden Thomas Reindl und die anschließende Führung durch das Wiener Rathaus. Beide Programmpunkte wurden von den Mitgliedern der Delegation aus Katsushika aufmerksam verfolgt. Die Gastgeber mussten viele (wie sich herausstellte) sehr schwierige Fragen über den Aufbau der Regierung und die Aufgaben des Gemeinderats beantworten. Bei der Führung studierten die Gäste die prunkvollen Räume des Rathauses eingehend  und durften sogar eine Runde mit dem Paternoster drehen, was den Japaner*innen selbstverständlich sehr gefiel. Am Abend waren wir Ehrengäste bei einer Gedenkveranstaltung für die Opfer des Nationalsozialismus. In der Volkshochschule Floridsdorf wurden Theaterstücke über die Zeit aufgeführt, Zeitzeuge Kurt Rosenkranz erzählte aus seinen Erinnerungen, und es wurden bekannte Roma-Musikstücke vorgespielt, die auch von den Japaner*innen wiedererkannt wurden.

Unsere Gruppe bei der lustigen Fahrt mit dem Paternoster im Rathaus.  © Olivia Weiß

Das Highlight der Reise

Der zweite Tag des Programmes (9.11.) begann mit einem Besuch beim Wiener Tourismusverband und einer Präsentation über die Zahlen, Fakten und Strategien für die Ankurbelung des Tourismus in Wien. Diese Präsentation stieß auf großes Interesse bei Bezirksbürgermeister Aoki, der sogleich alles darüber wissen wollte und um Rat und Vorschläge für die Ankurbelung des Tourismus in Katsushika fragte. Danach, und mit mehr als einer Stunde Verzögerung durch das rege Interesse, besuchten wir die erst kurz zuvor eröffnete Neue Mittelschule, und die Volksschule Zehdengasse, die in sehr engem Briefkontakt

Katsunori Aoki und Georg Papai nach der neuerlichen Unterzeichnung des Freundschaftsvertrages © Olivia Weiß

mit ihrer Schwesternschule in Katsushika steht. Auch ein Pensionistenwohnhaus und ein Stadtentwicklungsgebiet wurden besichtigt. Das Highlight des Tages und der gesamten Reise blieb  ohne Zweifel das Ehrungsfest am Abend. Um die Partnerschaft zu ehren, wurden einige Ansprachen von den Ehrengästen gehalten. Sogar der japanische Botschafter Koinuma Kiyoshi hielt eine Rede. Danach wurde der Freundschaftsvertrag zwischen den Bezirken Floridsdorf und Katsushika ganz feierlich erneuert und nochmals von Papai und Aoki unterschrieben. Anschließend wurden Geschenke feierlich übergeben: Eine wertvolle Uhr, die nach traditioneller Machart in Katsushika hergestellt worden ist, sowie ein Gemälde vom Floridsdorfer Bezirkshaus mit den beiden Bezirkswappen.

Ein schöner Ausklang mit Wiener Charme

Am dritten und letzten Programm Tag (10.11.) nahmen die Floridsdorfer Gastgeber*innen die Gruppe aus Tōkyō mit auf eine Sightseeing-Tour durch ihren Bezirk. Dabei durften natürlich das Wappenbeet, ein Blumenbeet mit den Bezirkswappen von Katushika, Floridsdorf und Angyaföld (dem anderen Schwesterbezirk von Floridsdorf) und der Tora-san Park nicht fehlen.



Besichtigung der neuen Floridsdorfer Müllhalde
in Stammersdorf

Ein sehr interessanter Programmpunkt war die Besichtigung der neuen Floridsdorfer Müllhalde in Stammersdorf. Diese Besichtigung der modernsten Müllhalde Wiens, die erst Wochen zuvor eröffnet worden ist, ist ein perfektes Beispiel dafür, dass die Gastgeber*innen vor allem neue Errungenschaften präsentieren ihren Gästen alles zeigen wollen – sowohl Kulturelles als auch Verwaltungseinrichtungen des Bezirks. Die Gäste zeigten sich höchst interessiert und dachten sogleich darüber nach, wie sie das österreichische System in Katsushika integrieren könnten, um die Müllentsorgung in ihrem Bezirk zu verbessern. Das Programm des Tages endete mit einer Führung durch das Floridsdorfer Bezirksmuseum und einem

Die Gruppe besichtigt das Wappenbeet (oben)
und den Tora-san Park (unten) mit
Bezirksvorsteher-Stellvertreterin Ilse Fitzbauer.
© Olivia Weiß

anschließenden Wienerlieder-Konzert, das die Delegation für eine Weile in die Zeit der legendären Schrammel-Brüder versetzte. Den Abend ließen wir gemütlich im Heurigen Christ bei einem Glas Gemischten Satz und einem Backhendl ausklingen.



Aber warum der Aufwand?

Doch bei so viel Aufwand und Mühe und (im Endeffekt) Geld, das in diese Partnerschaft gesteckt wird, fragt man sich bald – warum das Ganze? Warum ist das alles so wichtig für die Partner? Die Antworten sind in den Schwerpunkten enthalten, die im Freundschaftsvertrag von 1987 festgelegt sind, und die „von der Verwaltung, über Kunst und Kultur, bis hin zur industriellen Entwicklung“ reichen. Daraus hat sich das umfassende Programm unserer Gruppe ergeben. Ein besonders wichtiger Punkt und das ausschlaggebende Argument, warum beide Seiten regelmäßigen, persönlichen Kontakt miteinander pflegen, ist der Schwerpunkt auf der „Vertiefung der Freundschaft der beiden Bezirke und deren Bewohner*innen“. Diese Freundschaft zeigte sich auch in einem inoffiziellen Besuch 2017, als ein großer Teil der alten Delegation aus Katsushika rund um den fast 100-jährigen Ex-Bezirksbürgermeister die Bezirksvorstehung in Floridsdorf zu ihrem Jubiläum zu besuchte.  Bei diesem Anlass wurden vor allem die Stadt besichtigt und Orte, für die es bis dahin nie genug Zeit gab.

Herr Tsutsui, Frau Fitzbauer und Herr Aoki auf der stark befahrenen Katsushikastraße. (Der zweite Teil der Straße hinter der Kreuzung wurde nach dem ungarischen Schwesternbezirk Angyaföld in Budapest benannt.) © Olivia Weiß
Eine fruchtbare Freundschaft

Aus der Freundschaft zwischen den beiden Bezirken ist schon vieles hervor gegangen, wie zum Beispiel der Jugendaustausch, auf den beide Seiten sehr stolz sind. Jedes Jahr werden abwechselnd zwei Jugendliche aus Floridsdorf und aus Katsushika in das jeweils andere Land geschickt, wo sie eine Woche bei einer Gastfamilie verbringen dürfen. Ein beliebter Event im Frühling ist das Kirschblütenfest in Floridsdorf, das jedes Jahr auf der Donauinsel stattfindet. Hier können Interessenten gratis die japanische Kultur hautnah miterleben – durch Spiele, Essen, Musik, Kalligrafie und vieles mehr.

Ein paar infrastrukturelle Resultate aus der Partnerschaft sind die Furōrido-dōri, die Floridsdorf-Straße in Katsushika, die 2017 zum 30-jährigen Jubiläum der Freundschaftsbeziehung eröffnet wurde, die Katsushika-Straße in Floridsdorf – eine breite Straße mit einer wichtigen Kreuzung, die zur Autobahn führt – und der vorher erwähnte Tora-san Park, der 2009 zu Ehren der 140-jährigen diplomatischen Beziehungen zwischen Österreich und Japan eröffnet wurde. Der Park ehrt nicht nur den legendären Tora-san aus der Filmreihe, sondern auch den Mythos über den Beginn der Partnerschaft der beiden Bezirke.

Helmut Zilk und Tora-san

Dem Mythos zufolge soll Wiens Altbürgermeister Helmut Zilk den Stein für die Freundschaftsbeziehung zwischen Floridsdorf und Katsushika ins Rollen gebracht haben. Zilk soll die Idee gehabt haben, als er auf einer seiner vielen Dienstreisen einen Tora-san Film im Flugzeug sah. Die Tora-san Filmreihe handelt von einem Mann aus dem Bezirk Katsushika in Tōkyō, der gerne auf Reisen geht, sich unglücklich in ortsansässige Frauen verliebt und schließlich froh ist, wieder nach Hause zu kommen. Als Helmut Zilk den Film sah, fielen dem gebürtigen Wiener sofort Ähnlichkeiten auf zwischen Tora-sans Heimatbezirk Katsushika und dem 21. Bezirk, Floridsdorf. Zum Beispiel, dass durch beide Bezirke ein großer Fluss fließt, es viele Grünflächen gibt und sie eher am Rande der Stadt liegen. Außerdem hat Wien so wie Tōkyō 23 Bezirke.

Als er wieder zurück in Wien war, schlug der damalige Bürgermeister die Partnerschaft zwischen den Bezirken vor. Am 2. November 1987 war es dann soweit. Ein Freundschaftsvertrag wurde unterschrieben, in dem festgehalten wurde, dass die Partner voneinander und übereinander lernen wollen, um „die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Österreich und Japan zu verbessern und den Weltfrieden zu erhalten“. Zwei Jahre danach reist unser liebenswerter Tora-san in der 41. Folge „Tora-san Goes To Vienna“ nach Österreich und erkundet Wien. Es ist wohl kein Zufall, dass dies das erste Mal ist, dass er an einen Ort außerhalb Japans reist. Damit wurde die neue Partnerschaft geehrt. Und so bleibt Tora-san bis heute ein verbindendes Element in der Freundschaft zwischen den zwei Bezirken. Der Stein mit seinem Bild im Tora-san Park wird bei jeder Reise der Delegation aus Katsushika besucht.



Persönlicher Kontakt ist das Um und Auf

Papai und Aoki schätzen die Situation um ihre Beziehung sehr ähnlich ein.  Die beiden Bezirksoberhäupter sind sich einig, dass man nur von Unterschieden lernen und sich dadurch weiterentwickeln könne. Wie Papai in einer Rede sagt:

„Für uns ist diese Bezirksfreundschaft nicht nur eine schöne Sache, sondern es ist eine wichtige Aufgabe, die uns in unseren gemeinsamen Herausforderungen im städtischen Raum und in Ballungsräumen eine zusätzliche Unterstützung gibt, auf Herausforderungen neu und anders zu schauen, sich auszutauschen, und darüber zu sprechen, wie andere Städte, auch mit anderen Herangehensweisen und mit anderen Kulturen, Aufgaben lösen.“

Papais Begrüßungsrede beim Ehrungsfest © Olivia Weiß

Auch für Aoki ist Vielfalt sehr wichtig, denn er hofft, mit einer größeren Perspektive von der Reise zurück zu kommen, um einer Lösung der Probleme in seinem Bezirk näher zu kommen.

Durch die Globalisierung ist weltweit alles ziemlich gleich geworden, aber dennoch gibt es kulturelle Unterschiede. Deswegen finde ich es bedeutend, etwas von anderen Kulturen zu lernen und das können wir nicht entdecken, wenn wir nicht herkommen. (…)
Bis vor kurzem war man in Japan der Meinung, dass das europäische Wohlfahrtssystem [bzw. alles in Europa] viel besser sei, aber jetzt haben wir eigentlich einen ähnlichen Standard. Das haben wir zum Beispiel gestern erfahren, als wir das Pensionistenwohnhaus besucht haben. Aber trotzdem gibt es beim Gespräch viel Interessantes herauszufinden – wie man hier denkt und wie man etwas betrachtet. Ich hoffe, dass wir diese unterschiedlichen Ansichten bei unseren zukünftigen Vorhaben im Sozialwesen oder dergleichen einsetzen und verwenden können. Wir wollen nicht nur alles nachmachen, sondern diese unterschiedlichen Ansichten gut in unsere eigenen integrieren.

Was Aoki hier anspricht, ist die Bedeutung des persönlichen Kontakts, um den Partnerbezirk wirklich kennenzulernen:  „Nur wenn wir uns persönlich treffen, erfahren wir die ganze Wahrheit über die Dinge. Sonst kann man hinter Floskeln und Etikette (durch Briefe oder E-Mails) viel Wichtiges verstecken.“ So kann man zum Beispiel bei der Besichtigung von Pensionistenheimen und Schulen viele neue Ansätze erkennen, die man ohne einen persönlichen Besuch nie gefunden hätte, um dann zu Hause „für die Menschen in den Städten eine Verbesserung ihrer Lebenssituation erzielen zu können“, wie Papai sagte. „Deswegen“, so Aoki, „finde ich auf  einer Reise nicht nur Sightseeing wichtig, sondern wirklich mit den Menschen

Die Delegation im Stadtentwicklungsgebiet Neu Leopoldau.
© Olivia Weiß

zu sprechen. Daher finde ich auch den Austausch mit den Gastfamilien so wichtig, denn nur wenn man intensiven, persönlichen Kontakt hat, kann man andere Kulturen und andere Denkweisen wirklich kennenlernen.“



Wünsche und Hoffnungen für die Zukunft

Was die Zukunft betrifft, so hoffen beide Seiten, die Freundschaftsbeziehung aufrechtzuerhalten und zu vertiefen. Aoki würde gerne das Jugendaustauschprogramm der zwei Bezirke ausweiten, sodass mehr Menschen in das Partnerland kommen und dessen Kultur kennenlernen könnten. Trotz der großen Entfernung wäre es für ihn wünschenswert, wenn mehr Leute von der Partnerschaft profitieren und am Austausch teilhaben könnten.

Ich finde, dass Bezirksvorsteher Papai in seiner Rede beim Ehrungsfest der Freundschaft ein sehr schönes Schlusswort fand, das ich auch gerne als letzten Gedanken festhalten möchte:

Für uns ist diese Freundschaft eine ganz eine starke, eine ganz wichtige, gelebte Freundschaft. Und ich freue mich sehr und empfinde es als große Ehre, dass wir heute unseren Freundschaftsvertrag noch einmal bekräftigen und neu unterzeichnen, um auch für die nächsten Generationen und für die nächsten Entscheidungsträger*innen dieses Band so fest zu schnüren, dass es nichts mehr geben kann, das dieses Band durchtrennt.“

Auszug aus einem Interview mit Bezirksbürgermeister Aoki Katsunori im Belvedere, Interviewerin: Noriko Weiß (11.11.2019)
Transkript des Gespräches:

Herr Bezirksvorsteher Papai hat öfter erwähnt, dass man nur von Menschen lernen kann, die anders sind als man selbst. Die Bezirke Floridsdorf und Katsushika sind sehr weit voneinander entfernt und unsere Mentalitäten sind auch anders, wie auch unser System. Aber durch diesen Unterschied lernen wir voneinander.

Vielfalt ist sehr wichtig, nicht wahr? Diese Vielfalt macht es schwieriger verschiedene Dinge zu vermischen und sie aufeinander abzustimmen. Aber eben das treibt uns voran; es gewährt Verbesserung. Wenn alle der gleichen Meinung sind, ist es natürlich einfacher und vieles geht schneller. Sowas geht aber nur in einer Kriegssituation (dann ist es einfacher wenn alle derselben Meinung sind).

Warum finden Sie es so wichtig mit Ihrem Partner persönlichen Kontakt zu haben, nicht nur auf dem Papier oder durch Briefe?

Nur wenn wir uns persönlich treffen, erfahren wir die ganze Wahrheit über die Dinge. Sonst kann man hinter Floskeln und Etikette (durch Briefe oder E-Mails) viel Wichtiges verstecken. Deswegen ist es sehr wichtig sich zu treffen. Nicht nur durchs Internet, sondern „face-to-face“ Kommunikation ist wichtig. Dabei ist es auch leicht möglich, dass man etwas Neues entdeckt und dadurch kommen wir schließlich weiter. Deswegen ist es wichtig, sich abwechselnd zu besuchen. Auch wenn wir uns nicht jeden Tag sehen, kann es uns einen frischen Reiz geben, wenn wir uns ab und zu treffen.

Was möchten Sie durch diese Reise gewinnen? Was ist Ihr Ziel auf diesen Reisen?

Österreich und Japan sind sehr verschieden. Das Ziel ist, diese Unterschiede kennen zulernen. Ich meine aber nicht, dass wir diese Erkenntnisse in der Politik oder im Umweltmanagement so eins zu eins in Japan umsetzen wollen, aber dadurch bekomme ich als Bezirksbürgermeister eine größere Perspektive. Ich bin überzeugt, dass uns das zur Lösungen unserer Probleme führt. Heutzutage ist es ja nicht mehr so wie früher, dass die Japaner alles von entwickelten Ländern lernen wollen, weil dort alles besser ist. So ist das nicht mehr. Durch die Globalisierung ist weltweit alles ziemlich gleich geworden, aber dennoch gibt es kulturelle Unterschiede. Deswegen finde ich es bedeutend, etwas von anderen Kulturen zu lernen und das können wir nicht entdecken, wenn wir nicht herkommen.

Was ist dann das Resultat daraus? Was machen Sie mit dem Wissen, das Sie auf diesen Reisen sammeln?

In europäischen Ländern denken die Politiker viel darüber nach wie man die Demokratie weiterhin führen soll oder wie die Leute besser leben könnten. Sie bemühen sich. Bis vor kurzem war man in Japan der Meinung, dass das europäische Wohlfahrtssystem [bzw. alles in Europa] viel besser sei, aber jetzt haben wir eigentlich einen ähnlichen Standard. Das haben wir zum Beispiel gestern erfahren, als wir das Pensionistenwohnhaus besucht haben. Aber trotzdem gibt es beim Gespräch viel Interessantes herauszufinden –wie man hier denkt und wie man etwas betrachtet. Ich hoffe, dass wir diese unterschiedlichen Ansichten bei unseren zukünftigen Vorhaben im Sozialwesen oder dergleichen einsetzen und verwenden können. Wir wollen nicht nur alles nachmachen, sondern diese unterschiedlichen Ansichten gut in unsere eigenen integrieren.

Zum Beispiel gestern im Altersheim: Das System der staatlichen Altenpflege und die Einrichtungen im Gebäude sind am gleichen Standard, aber was genau haben Sie als anders empfunden?

In Österreich empfindet man es am Wichtigsten, dass man die Freiheit hat selbst bestimmen zu können wie man leben möchte. Zum Schluss [im Pensionistenwohnheim am zweiten Tag] haben wir auch die Einrichtung für bettlägerige Patienten gesehen, aber das meine ich im Moment nicht. Der Schwerpunkt den man hier setzt ist, dass man so leben kann wie man möchte und so glücklich und frei sein kann wie möglich, obwohl man in dieser Einrichtung wohnt – bis zu dem Zeitpunkt wo man auf der Station für bettlägerige Patienten landet. In Japan aber ist es wichtiger, wie man handelt wenn man bereits bettlägerig ist. Davor ist es die Angelegenheit von jedem selbst sich darum zu kümmern wie man leben möchte und das zu tun was einen glücklich macht. Man denkt nicht, dass das eine Angelegenheit vom Staat oder der Gemeinde wäre.

Was erhoffen Sie sich von dieser Partnerschaft mit Floridsdorf? Was erhoffen Sie sich von der Zukunft?

Ich hoffe, dass immer mehr Menschen [in das jeweilige Partnerland] kommen können um den anderen zu besuchen. Das ist wegen der großen Entfernung natürlich ziemlich schwierig. Es gibt den Jugendaustausch, aber ich denke es wäre schön, wenn mehr Leute davon profitieren könnten und daran teilhaben könnten. Österreich ist schon sehr weit, aber ich finde es hat trotzdem einen sehr großen Wert einmal herzukommen.
Ich finde auf einer Reise nicht nur das Sightseeing wichtig, sondern auch wirklich mit den Menschen zu sprechen. Daher finde ich den Jugendaustausch mit den Gastfamilien so wichtig, denn nur wenn man intensiven, persönlichen Kontakt mit Menschen hat, die so verschieden sind, kann man deren Kultur und Denkweisen wirklich kennen lernen. Wenn man sich nur schöne Gebäude ansieht, denkt man bloß, dass sie großartig und schön sind – aber dabei bleibt es leider.
Die Ziele der österreichischen und japanischen Politiker sind gleich, zum Beispiel die Demokratie zu halten oder, dass die Menschen in ihrem Land glücklich leben können. Trotzdem gibt es doch feine Unterschiede in den Denkweisen von Menschen aus verschiedenen Kulturen, die man entdecken kann. Ich finde es gut, wenn man diese Unterschiede kennen lernt. 

 

***

Es folgt: Pressetext (verfasst im Herbst 2018)

Eine Freundschaft für die Ewigkeit:
Mehr als drei Jahrzehnte Floridsdorf
  Katsushika

Ein Bericht über die Mühen und Früchte aus einem kulturellen Austausch, der die Bezirke Floridsdorf und Katsushika seit mehr als dreißig Jahren verbindet

Die Praxis der sogenannten Schwesternbezirke verbindet weltweit unzählige Städte, Orte und Bezirke der verschiedensten Länder miteinander – jedoch sehen sich die Partner*innen oft nie in Person sondern sind nur auf dem Papier „Schwestern “. Ein Beispiel für einen sehr regen kulturellen Austausch zwischen Partnern ist die Beziehung zwischen dem 21. Wiener Bezirk Floridsdorf und dem Tōkyōter Bezirk Katsushika. Die Köpfe ihrer Bezirke, Bürgermeister Aoki Katsunori aus Japan und Bezirksvorsteher Georg Papai aus Österreich, reisen mit ihrer Delegation relativ oft in das andere Land und besuchen ihren Partnerbezirk. Auf ihren Reisen versuchen sie, mehr über ihren Partner und dessen Kultur sowie über ihre Arbeit im Bezirk herauszufinden.

Doch wie kam es dazu? Wiens Altbürgermeister Helmut Zilk soll der Grund für den Anfang dieser wunderbaren Beziehung sein. Auf einer seiner vielen Dienstreisen, die ihn auch nach Japan führten, sah er im Flugzeug einen Tora-san-Film, der ihn auf eine Idee brachte: Die Tora-san-Filmreihe handelt von einem Mann aus dem Bezirk Katsushika in Tōkyō, der gerne auf Reisen geht, sich unglücklich in ortsansässige Frauen verliebt und schließlich froh ist wieder nach Hause zu kommen. Als Helmut Zilk den Film sieht, fallen dem gebürtigen Wiener sofort Ähnlichkeiten zwischen Tora-sans Heimatbezirk Katsushika und dem 21. Bezirk, Floridsdorf, auf : zum Beispiel, dass durch beide Bezirke ein großer Fluss fließt, es viele Grünflächen gibt und sie eher am Rande der Stadt liegen.

Als Zilk wieder zu Hause ist, schlägt der damalige Bürgermeister eine Partnerschaft zwischen den Bezirken vor. Am 2. November 1987 ist es dann soweit und ein Freundschaftsvertrag wird unterschrieben, der bekannt gibt, dass die Partner von einander und über einander lernen wollen, um „die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Österreich und Japan zu verbessern und den Weltfrieden zu erhalten“. Zwei Jahre danach reist Tora-san in der 41. Folge „Tora-san Goes To Vienna“ nach Österreich und erkundet Wien. Es ist wohl kein Zufall, dass dies auch das erste Mal ist, wo er an einen Ort außerhalb Japans reist und die neue Partnerschaft so geehrt wird.  Bis heute bleibt der gute Tora-san ein verbindendes Element in der Freundschaft zwischen den zwei Bezirken.

Dass die Partnerbezirke immer noch eine solch gute Beziehung miteinander haben, ist zweifellos der regelmäßigen persönlichen Pflege und den ständigen Bemühungen beider Seiten zuzuschreiben. Und so kommt es, dass die Delegation aus Katsushika vom 7.-11. November 2018 wieder nach Wien zurück kehrte,  um ihre Floridsdorfer Freunde zu besuchen. Olivia Weiß war bei diesem ereignisreichen Besuch hautnah dabei.

Text: Olivia Weiß

Robert Jungk und Hiroshima

erste atomwüste der welt

Am 6. August 1945, um 8:15 Uhr, blieben alle Uhren in Hiroshima stehen. Die erste Atombombe der Geschichte war abgeworfen worden. Drei Tage später folgte die zweite auf Nagasaki, die historisch bedeutende, wunderschöne Hafenstadt. Diese Bombe hatte eine 1,5-fach größere Zerstörungskraft als die erste. Mehr als 200.000 Menschen wurden in Hiroshima und Nagasaki auf der Stelle getötet. Zwei schöne Hafenstädte verwandelten sich in einem Augenblick in eine Atomwüste.

Wie unzählige andere Schüler war mein Onkel Kagawa Yoshio, damals ein 13-jähriger Schüler, gerade im Stadtzentrum. Mein Großvater arbeitete als Ingenieur in der Mitsubishi-Werft in Kōbe und ließ seine Familie nach Hiroshima evakuieren, da man meinte, dass es dort sicherer sei. Hiroshima, obwohl eine militärisch wichtige, moderne Stadt, war bis dahin von größeren Luftangriffen verschont geblieben.

Es war schon fast unheimlich. Nur wenige Tage zuvor war die Familie ohne Familienoberhaupt nach Hiroshima gezogen.

Meine Tante wollte an jenem Tag nicht in die Schule gehen, da der Saum ihres Rocks ausfranste. Yoshio ging von zu Hause in Hatsukaichi (ca. 16 km südwestlich vom Zentrum) alleine in die Schule und kam nie wieder zurück, während meine Tante heuer 89 Jahre alt wird. Meine Großmutter suchte sofort an den darauffolgenden Tagen nach ihrem Sohn und verlor später ihr Haar als Folge der Strahlung. Als ich klein war, erzählte sie mir fast jeden Tag, wie grauenvoll die Stadt war. Überall lagen schwarz verbrannte Leichen, sogar im Fluss. Die asphaltierten Straßen waren so heiß und weich wie dicke flaumige Teppiche. Es war die Hölle auf Erden. Mein Vater, der damals drei Jahre alt war und nicht so viel mitbekam, erzählte, dass seine Mutter für einige Monate im dunklen Zimmer bleiben musste, da sie kein Licht vertragen konnte. Die radioaktive Strahlung machte sie kurzfristig blind. Trotz eifriger Fahndung der Großmutter fanden sie von Yoshio keine Spur.

Hiroshima kurz nach dem Bombardement, 1945.
© Bild: US-Militär, Quelle: Friedensmuseum Hiroshima.
Familie Kagawa, vermutlich im Jahr 1942: hinten links Großvater Tatsuo, erste Reihe, 2. von links Großmutter Haru, in der Mitte Yoshio, direkt neben ihm Tante Naoko. © Familie Kagawa.
© Familie Kagawa
Kagawa Yoshio, vermutlich im Jahr 1940.
© Familie Kagawa.

In der Gedenkhalle für die Atombombenopfer kann man jetzt auch ein Foto von meinem Onkel sehen. Über die Situation der Strahlenexposition steht: „Am Tag des Atombombenabwurfs war er als Studentensoldat beauftragt, die Stadt zu räumen. Er war vermutlich in Koami-chō (in unmittelbarer Nähe des Hypozentrums), als die Bombe fiel. Da keine Überreste von ihm gefunden wurden, blieb nichts anderes übrig, als anstelle seiner Gebeine die Erde von Koami-chō ins Grab zu legen.“

Jedes Mal, wenn ich diesen Text lese, verspüre ich die ziellose Wut und Trauer der Familie, die ihn nicht einmal liebevoll bestatten konnte und mir steigen Tränen in die Augen.



Hiroshima-Recherchen von Robert Jungk

Ein Jude macht die Herzwunde der Überlebenden zum Teil des kollektiven Gedächtnis der Menschheit

Mehr als zehn Jahre nach Kriegsende war für die Menschen in Japan die Kriegszeit vorbei. Die US-Besatzungszeit ging im April 1952 zu Ende. Eine Aus-

nahme bildete Okinawa, das bis 1972 unter amerikanischer Besatzung blieb. Die Rekonstruktion der Städte ging zügig voran, auch in Hiroshima. Doch für die Menschen, die unter den Folgen der Atombombe litten, fühlte es sich weiterhin wie im Krieg an.

Am 6. August 1945, um 8:15 Uhr, blieben alle Uhren in Hiroshima stehen. Die erste Atombombe der Geschichte war abgeworfen worden. Drei Tage später folgte die zweite auf Nagasaki, die historisch bedeutende, wunderschöne Hafenstadt. Diese Bombe hatte eine 1,5-fach größere Zerstörungskraft als die erste. Mehr als 200.000 Menschen wurden in Hiroshima und Nagasaki auf der Stelle getötet. Zwei schöne Hafenstädte verwandelten sich in einem Augenblick in eine Atomwüste.Wie unzählige andere Schüler war mein Onkel Kagawa Yoshio, damals ein 13-jähriger Schüler, gerade im Stadtzentrum. Mein Großvater arbeitete als Ingenieur in der Mitsubishi-Werft in Kōbe und ließ seine Familie nach Hiroshima evakuieren, da man meinte, dass es dort sicherer sei. Hiroshima, obwohl eine militärisch wichtige, moderne Stadt, war bis dahin von größeren Luftangriffen verschont geblieben.

Im Mai 1957 kam Robert Jungk nur mit einer Schreibmaschine und seiner glühenden Leidenschaft als Journalist in Hiroshima an. Sein zweites Buch Heller als tausend Sonnen, in dem er vom Schicksal und dem Dilemma der amerikanischen Atomforscher berichtete, war kurz davor erschienen. Der in Ber-


Robert Jungk mit seiner Frau Ruth und seinem Sohn Peter Stephan, 1954.
© Jungk Bibliothek für Zukunftsfragen.

lin geborene, jüdische Journalist war bereits als Bestsellerautor berühmt. Kurz vor seiner Abreise feierte Jungk mit seiner Frau Ruth den vierten Geburtstag ihres Sohnes Peter Stephan. Obwohl er für seine Recherchen immer wieder verreiste, fiel ihm der Abschied diesmal so schwer wie nie zuvor. Rückblickend schreibt Jungk in seiner Autobiographie über seine Entscheidung, weshalb er in ein so weit entferntes Land mit dem Frachtschiff aus San Francisco anreiste, dass seine Frau Ruth nicht wollte, dass er über Pazifik flog: „Daß ich mich nach der äußerlich und vor allem innerlich anstrengenden Arbeit am Buch über die Atomforscher fast ohne Pause gleich wieder in ein neues Projekt gestürzt habe, ist nur aus der Zuspitzung der atomaren Situation zu erklären.”

Robert Jungk mit seiner Schreibmaschine aus den 1950er Jahren.
© Jungk Bibliothek für Zukunftsfragen.

Ogura Kaoru, ein in den USA geborener Privatgelehrter und Übersetzer, wurde beauftragt, bei Jungks Recherche zu assistieren. Anfangs fungierte er nur während der zweiten Hälfte des zweiwöchigen Aufenthalts Jungks in Hiroshima als Dolmetscher und Begleiter. Sein Englisch war viel besser als das des ersten Dolmetschers und Freundes beider, des ebenfalls in den USA geborenen Willi Togashi. Ogura bevorzugte es, mit der amerikanischen Form seines Vornamens Kaoru als „Carl“ angesprochen zu werden.

Was Jungk in Hiroshima sah, war eine zur Hälfte wiedererrichtete, chaotische Industriestadt mit ca. 400.000 Einwohnern. Das Nachtleben, das sich in bunt erleuchteten Straßen abspielte, hätte er gewiss nicht erwartet. Genauso wie in anderen Großstädten herrschten noch bittere Armut und hohe Kriminalität, und es gab überall Baracken.

Ein wesentlicher Unterschied zu anderen Orten war, dass die Menschen in Hiroshima in ständiger, neurotischer Angst vor einem Ausbruch der Strahlenkrankheit lebten. In der Zeitung erschienen immer wieder steigende Opferzahlen. 

Nicht wenige Überlebende ertrugen diese Bedrohung nicht und nahmen sich selbst das Leben. Kleine Kinder, die an jenen Tag nicht einmal verwundet worden waren, starben an den Spätfolgen der Strahlenkrankheit. Sogar Angehöri-

ge der zweiten Generation der Hibakusha (Überlebende der Atombombe) starben oft schon als Baby, gleich nach der Geburt. Die Menschen wurden wegen sogenannter „Keloide“, wulstiger Brandmale, die immer wieder an die Oberfläche kommen und nie ganz ausheilen, diskriminiert. Frauen wurden als „unproduktiv“ beschimpft, weil man annahm, dass sie keine gesunden Kinder bekommen konnten, und weil sie wegen der Folgen der Strahlung körperlich zu schwach für Haushalt oder Arbeit waren. Es gab auch Gerüchte, dass die Strahlenkrankheit ansteckend sei. Außerdem kämpften die Menschen mit Schuldgefühlen, weil sie die Bombe überlebt hatten.

Jungk dokumentiert in seinem Buch Strahlen aus der Asche die unverfälschten Stimmen der Überlebenden. Es war eine der ersten Reportagen, die nicht gesichtslose Zahlen und Statistiken wiedergab, sondern Jungk wollte die Wunden der Überlebenden, ihre „Keloide des Herzens“ der Welt mitteilen. Im letzten Kapitel geht es in einer kurzen Episode um Sasaki Sadako, ein heiteres sportliches Mädchen. Sie war an jenem Tag zwei Jahre alt und hielt sich zu Hause auf, vom Hypozentrum ca. 1,6 km entfernt. Sadako wurde von der Explosion weggeblasen, blieb jedoch wie durch ein Wunder unverletzt. Bis sie 12 Jahre alt wurde, war sie eine ausgezeichnete Kurzstreckenläuferin. Zu jener Zeit standen die Menschen gerade wegen der Wasserstoffbombenversuche am Bikini-Atoll unter Schock und waren sich erneut der großen Gefahren von Nuklearwaffen bewusst. Sadako bekam plötzlich Leukämie, trotzdem gab sie ihre Hoffnung nicht auf. Bis zum letzten Moment ihres Lebens faltete sie Papierkraniche, auf dass ihr Wunsch zu überleben, wie es in einer japanischen Legende heißt, verwirklicht würde. Ihr Wunsch wurde jedoch nicht erfüllt und sie verstarb acht Monate nach dem Ausbruch der Krankheit.

Der österreichische Jugendbuchautor Karl Bruckner las diese Episode bei Jungk und verfasste 1961 einen Roman mit dem Titel Sadako will leben. Das Buch wurde bis heute in mehr als 20 Sprachen übersetzt und über zwei Millionen Mal verkauft. Es wurde auch in Schulen zahlreicher Länder zur Friedenserziehung eingesetzt. Während des Kalten Krieges, als man sich vor einer Eskalation der Spannungen und einem Atomkrieg fürchtete, muss diese Geschichte enorme Bedeutung hinterlassen haben.

Was all diese tragischen Erfahrungen uns vermitteln, beschreibt Jungk als Merkmale der Atomwaffen in seinem Epilog: „Nicht die monumentalen Repräsentationsbauten sind Hiroshimas Mahnmale, sondern die Überlebenden, in deren Haut, Blut und Keimzellen die Erinnerung an ‚jenen Tag’ eingebrannt ist. Sie sind die ersten Opfer einer ganz neuen Art von Krieg, der niemals durch Waffenstillstands- oder Friedensverträge abgeschlossen werden kann, des ‚Krieges ohne Ende’, der über seine Gegenwart hinausgreifend auch die Zukunft in den Kreis der Zerstörung hineinzieht.”

Freundschaft zwischen Japan und Österreich – Gegenseitige Inspiration

Jungks Auftrag an Ogura entwickelte sich schließlich zu einer vertraglichen Zusammenarbeit in Form eines Briefwechsels für insgesamt zweieinhalb Jahre. Jungk preist in Dank des Verfassers die präzise, sorgfältige Arbeit Oguras: „In dieser Zeit hat mir Ogura auf meine Fragen in 213 säuberlich nummerierten Briefen geantwortet und Dutzende Bewohner Hiroshimas interviewt. Es ist ihm gelungen, die durch persönlichen Kontakt angebahnte Beziehung zwischen dem Autor und den Befragten so sehr zu vertiefen, dass aus diesen Interviews häufig Bekenntnisse wurden. Ich habe leider nur einen Bruchteil dieser schriftlichen Mitteilungen, die inzwischen den Umfang von acht normalen Büchern erreicht haben, verwenden können. Hoffentlich wird sich später einmal ein Forschungsinstitut dieses Materials annehmen.“

Robert Jungk und Ogura Kaoru, 1960.
© Jungk Bibliothek für Zukunftsfragen.

Ogura beschreibt in seinem Essay ヒロシマに、なぜ (Nach Hiroshima, warum?), seine Bemühungen um das Senden der Briefe. Die verschiedenen japanischen Briefmarken, die er jedes Mal auf dem Kuvert angebracht hatte, machten den Briefträger in Wien, der regelmäßig zweimal wöchentlich die Post austrug, neugierig und brachten ihm Freude. Wenn es regnete, musste Ogura die dünnen Briefpapiere extra kleiner schneiden, damit sie, wenn sie nass wurden, nicht die Gewichtsgrenze überstiegen. Carl schrieb in jedem Brief eine Art „Vorwort“ in dem er Jungk seiner Hochachtung und Freundschaft versicherte und ihm seine Meinung über die aktuelle Lage in der Stadt darlegte. Ogura machte zum ersten Mal Recherchearbeiten, und er beschreibt, dass es so spannend und aufregend für ihn war, dass ihm das Herz im Leibe klopfte. Einmal, als er in der nationalen Verwaltungsstelle für Archivgut und Unterlagen in USA die alten Dokumente, die gleich nach dem Atombombenabwurf verfasst worden waren, in die Hände nahm, sei ihm erst eisige Kälte am Rücken aufgestiegen, und danach sei ihm warm geworden, erinnert er sich in seinem Buch.

 

Friedensdenkmal der Kinder.
© Kagawa Yoshie

Er schreibt auch, dass Jungk ein durchaus menschlicher „Mensch“ gewesen sei: Enthusiastisch bei allem, was er getan habe, er habe „dynamisch“ gegessen, und mit unglaublicher Ausdauer doppelt so viel gearbeitet, wie andere. Jungk lebte jeden Tag mit voller Vitalität, während Carl, der lange Zeit kränklich war, bis dahin schonend gelebt hatte. Für Jungk war es nicht so wichtig, wie er aussah und er kleidete sich wie „Kommissar Columbo“. So dynamisch er war, hatte er auch eine empfindliche Seite, nämlich dass er nachts im beleuchteten Zimmer mit schwarzer Augenbinde schlafen musste. Als Jude in Deutschland und auf der Flucht in verschiedenen Ländern, hatte er sich oft verstecken müssen, weswegen er Angst vor der Dunkelheit hatte. Sein Anspruch, unbedingt die Stimmen der Überlebenden stellvertretend zum Teil des kollektiven Gedächtnisses machen zu wollen, beeindruckte Carl immer wieder.

Drei Hauptfiguren aus Strahlen aus der Asche sind M.Kazuo, Kawamoto Ichirō und seine Gefährtin Kawamoto Tokie. M.Kazuo war ein künstlerisch begabter, sensibler Junge, der nach der Atomkatastrophe so weit seelisch verstört war, dass er zu einem gnadenlosen Raubmörder wurde.

Über Kawamoto Ichirō schreibt Jungk in seiner Autobiographie: „Er hatte, überwältigt von dem Elend, das er stündlich um sich sah, seine Ingenieurslaufbahn aufgegeben, um sich ganz den Hilflosen, vor allem den vielen strahlenkranken Kindern und Waisen, widmen zu können. Ich habe die besondere Qualität dieses bescheidenen, opferbereiten, ganz außergewöhnlichen Menschen von der ersten Minute unserer Begegnung an gespürt und ihn zusammen mit Carl so oft wie möglich auf seinen Besuchen begleitet. Es war das erste und, wie ich heute weiß, auch einzige Mal, daß ich einem lebenden Heiligen begegnet bin.“

Es war Kawamoto Ichirō, der Jungk Sadakos Geschichte vorstellte und die Kampagne für die Errichtung des Friedensdenkmals der Kinder leitete. Als Kawamoto Jungk Sadakos Bild zeigte, fragte Jungk, ob er ihr Bild umarmen dürfe. Kawamoto und Jungk schossen zusammen ein Foto mit dem Bild von Sadako. Anschließend umarmte Jungk ihr Bild ganz fest für eine Weile.

Alle, die Jungk in Hiroshima kennenlernten, verehrten ihn sehr, und sahen eine große Zukunft und Hoffnung in ihm. Die Existenz eines Weltbürgers, der den Schmerz der Überlebenden teilte, gab ihrem Leben wieder Sinn.


Robert Jungk und Kawamoto Ichirō mit Sadakos Bild. © Bild aus den gesammelten Materialien über Kawamoto Ichirō, Quelle: Friedensmuseum Hiroshima.


Ogura, der den Reiz der Recherchearbeit entdeckt hatte und die Wichtigkeit spürte, die Persönlichkeiten, die nach Hiroshima kamen, zu begleiten, arbeitete tatkräftig als erster Vermittler und Dolmetscher Hiroshimas und leitete später das Friedensmuseum.

Jungk schreibt: „Als ich nach Hiroshima reiste, kam ich als Reporter, der die interessante Geschichte einer fremden Stadt aufschreiben wollte. Aber je länger ich mich mit dieser Story beschäftigte, umso klarer wurde mir, dass ich nicht außerhalb und über ihr stand, sondern ein Teil von ihr war.“

Er besuchte Hiroshima danach noch vier Male. Über den ersten Besuch schreibt er später in seiner Autobiographie: „Als ich Hiroshima verließ, war ich ein anderer geworden. Ich wollte über Geschehenes nicht mehr nur berichten, weil es interessant, sondern weil es lebenswichtig war und daraus vielleicht Lehren für künftiges Verhalten erwachsen konnten. Rechtzeitig vor kommendem Unheil zu warnen, erschien mir in dieser historischen Situation vordringlicher als Ruhm und Karriere.“ 

Interview: Dialog mit Jungk-san – Ich höre immer
seine Stimme
Familie Jungk und Familie Ogura im Jahr 1970.
© Ogura Keiko

Prof. Wakao Yūji, ein emeritierter Professor für moderne Geschichte der Universität Nagoya, forscht bereits über zehn Jahren zu Jungk und der Friedensbewegung. Im Zuge seiner Forschungen gelangte er zu der Überzeugung, dass verschollenen geglaubte Briefe bei Oguras Witwe Keiko zu finden sein müssten. Genau wie er vermutet hatte, wurden die 435 Seiten umfassenden, verschollenen Briefe Oguras an Jungk im Februar 2016 bei Ogura Keiko im Zuge einer Aufräumaktion gefunden. Er befand sie als äußerst relevant für die Geschichte Hiroshimas und beschloss, die in Englisch geschriebenen Briefe zurück ins Japanische zu übersetzen. Er schreibt: „Die Briefe Oguras stellen eine Auswahl seiner gesammelten Materialien über Hiroshima dar; die gesamte Materialiensammlung hat den Charakter eines ‚Hiroshima-Reports’, und zusammen mit den privaten Briefen sollte dieser Interview-Teil zweifelsohne ‚Ogura-Report’ heißen.“ Zusammen mit sechs anderen Kollegen*innen bildete er ein Übersetzungsteam. Sie übersetzten die Texte und suchten nach Originalmaterialien zur Überprüfung. Auf diesen Forschungsarbeiten basiert ein zweibändiges Werk, das Prof. Wakao 2018 veröffentlichte.

Prof. Wakao Yūji und Ogura Keiko im Dezember 2018. © Kagawa Yoshie

Dank der Lektorin Judith Brandner durfte ich Prof. Wakao Yūji, Ogura Keiko und den Schriftsteller Peter Stephan Jungk, Robert Jungks Sohn, per E-Mail kennenlernen. Gegen Ende des Jahres 2018 kehrte ich in meine Heimat zurück und bekam dort die Gelegenheit, ein Interview mit Ogura Keiko und Prof. Wakao Yūji zu führen. Der Tag des Interviews war zufällig der Geburtstag von Peter Stephan Jungk. Wir feierten den Tag in einem Zimmer des Friedensmuseums mit Kuchen aus der Kurkonditorei Oberlaa und Früchtebrot von Andersen (eine beliebte Bäckerei in Hiroshima, ähnlich der Konditorei Oberlaa in Wien).

Ogura Keiko erzählte unter anderem, wie es ihr nach dem Tod ihres Mannes gegangen war. Gleich nachdem Ogura Kaoru seinen Essay fertig geschrieben hatte, verstarb er im Juli 1979 ganz plötzlich an einer Subarachnoidalblutung, einer speziellen Form von Schlaganfall. Ein halbes Jahr später kam Jungk nach Hiroshima. Keiko war noch in tiefe Trauer versunken. Jungk engagierte sie als seine Dolmetscherin und Sekretärin. 

Bis dahin war sie eine glückliche Hausfrau, die zu Hause Kekse backte und auf ihre Kinder und ihren Mann wartete. Auf einmal stand sie alleine mit zwei Kind-

Da sie von Kawamoto Ichirō erfahren hatte, dass es ein jüdisches Grab im Mitaki-Tempel gab, begleitete sie Jungk dort hin. Er klagte nämlich über die inzwischen völlig zubetonierte Stadt. Der Mitaki-Tempel liegt im Tal des Mitaki-Berges, nordwestlich vom Zentrum Hiroshimas und besitzt einige Gebäude, die die Atombombe „überlebt“ haben. „Mitaki“ bedeutet „drei Wasserfälle“, und dieser Ort stellt für die Menschen eine grüne Oase dar.

Jüdisches Grab im Mitaki Tempel, 2018. © Kagawa Yoshie
Robert Jungk und Ogura Keiko im Mitaki Tempel, 1980. © Ogura Keiko

Jungk freute sich sehr, so einen authentischen, spirituellen Ort zu besuchen und sagte: „Warum hat Carl mich niemals hierher gebracht? Keiko, du bist in Sachen Stadtführung viel besser als Carl!“ Als Jungk das jüdische Grab besuchte, bestätigte dies sein Gefühl, das er seit seinem ersten Aufenthalt in Hiroshima hatte, nämlich die Verbundenheit der „Zufällig-Davongekommenen“ der größten Verbrechen der Menschheit, Auschwitz und Hiroshima. Jungk hatte über 40 Verwandte im Holocaust verloren.

Dank Jungks Ermutigung begann Ogura Keiko ihre Erfahrungen weiterzuerzählen, als die fast einzige, englischsprachige Hibakusha. Sie beschloss, eine gute Dolmetscherin zu werden und studierte Tag und Nacht – nicht nur Englisch, sondern eignete sich auch Wissen und Fachvokabular über Atomkraftwerke und die aktuelle Situation der Friedensbewegung an. Darüberhinaus gründete sie 1984 die Hiroshima Interpreters for Peace, eine Gruppe ehrenamtlicher Dolmetscher*innen, die Gäste aus Übersee in verschiedenen Sprachen unterstützt, und ihnen dabei hilft, in Hiroshima möglichst viele Eindrücke über die Friedensbewegung zu bekommen.

Ogura Keiko war 19 Jahre alt, als sie Jungk kennenlernte. Aus ihrer Art, sich an Jungk zu erinnern und über ihn zu erzählen, spürte ich, dass sie auch heute noch in ihrem Herzen im Dialog mit Jungk ist. Durch sie bekam auch ich das Gefühl, als hätte ich Robert Jungk persönlich kennengelernt. Ogura Keiko ist heute 81 Jahre alt, doch in ihrem Herzen ist so jung und fröhlich geblieben, wie ein Mädchen – und von einer Vitalität, wie sie auch Robert Jungk hatte.



Mahnmal aus der Asche – Botschaft für die Zukunft

Kawamoto Tokie, eine der Protagonist*innen aus Strahlen aus der Asche betont: „Wir sind zu der Überzeugung gelangt, daß die Unmenschlichkeit schon bei der Missachtung und Vernachlässigung des einzelnen beginnt. Die Atomwaffen sind das Endresultat dieser Gleichgültigkeit gegenüber den vielen einzelnen, unverwechselbaren, unersetzlichen Menschen. Wir müssen gegen die Bomben protestieren. Aber das ist nicht genug. Wir wollen außerdem versuchen, ganz langsam die Einstellung des Menschen zum Menschen zu verändern. Hätte es den ‚Pikadon’ (Blitz und Donner bei der Explosion der Atombombe) nicht gegeben, so wäre ich nur eine mittelmäßige Tanzlehrerin geworden und hätte wohl nie begriffen, wie sehr wir alle einander, wie sehr jeder jeden braucht.“

Kawamoto Tokies Ansicht trifft sich mit der Philosophie von Bertrand Russell, einem Pazifisten, der durch das Russell-Einstein-Manifest berühmt geworden ist, und der auch mit Robert Jungk befreundet war. Im Russell-Einstein-Manifest wird appelliert: „Wir wenden uns als Menschen an unsere Mitmenschen: Erinnert Euch Eures Menschseins und vergesst alles andere! Wenn Ihr das vermögt, dann öffnet sich der Weg zu einem neuen Paradies. Könnt Ihr es nicht, dann droht Euch allen der Tod.”

Nach der Aussetzung der INF-Verträge zwischen USA und Russland steht erneut die Gefahr des Wettrüstens bevor. Jetzt mehr denn je, sollten wir die Solidarität des Humanismus verstärken und uns nicht von Ohnmacht besiegen lassen. Der französische Schriftsteller und Historiker André Maurois schreibt in einem Buch Au commencement était l’action (Am Anfang war die Tat): „Die tiefgreifendsten Revolutionen finden auf geistiger Ebene statt. Sie verändern die Menschen, die ihrerseits die Welt verändern. Die wirkliche Revolution ist die Revolution des Individuums. Genauer, eines einzigen Individuums, sei es ein Held oder ein Heiliger, der für unzählige weitere ein Beispiel sein kann, dessen Nachahmung die Welt dramatisch verändern kann.“

Wenn eine Person ihre Einstellung ändert, werden die Menschen in ihrer Umgebung inspiriert und beginnen ebenfalls, sich zu verändern. Für die Schaffung einer wirklich friedlichen Welt, sollten wir unmittelbar bei den Menschen in unserer Umgebung anfangen, und jedes ein-

Friedensdenkmal – Atombombenkuppel in Hiroshima.
© Kagawa Yoshie

zelne Leben wertschätzen. Alle Menschen an einer Philosophie der Würde des Lebens teilhaben zu lassen, dauert lang, dennoch ist es der einzige Weg, um die Menschen zu verändern. Anstatt unter wechselnden politischen Zuständen hin- und hergerissen zu werden, sollten wir unser Bewusstsein als Weltbürger stärken und den Planeten, den wir gemeinsam bewohnen, mehr lieben und schätzen. Genauso wie Jungk zur jungen Keiko sagte, zwei Jahre bevor sie Carl heiratete:

„Keiko, du sollst lernen, einer Person nicht nur maßvolle 80 Prozent, sondern eine unendlich sprudelnde Liebe zu schenken. Erst dann begreifst du, warum ich dem Krieg unbedingt ein Ende setzen will.“

Mehr über Robert Jungk erfahren Sie hier: Robert Jungk Bibliothek für Zukunftsfragen
Japanische Version (freie Übersetzung der Autorin): Hiroshima_Recherche_JP_final_6-compressed

 

***

Es folgt: Pressetext (verfasst im November 2018)

Mahnmal aus der Asche

Ein japanisch-österreichischer Briefwechsel, der das Herz Hiroshimas weiterleben lässt.

6. August 1945 – eine lebhafte Handelsstadt verwandelte sich augenblicklich in eine Atomwüste. Was genau war geschehen, was passierte danach?

Der österreichische Journalist Robert Jungk spürte eine dringliche Notwendigkeit, die Stimmen der Überlebenden der Atombombe von Hiroshima aufzuzeichnen, um ein ewiges Mahnmal für die nachkommenden Generationen zu hinterlassen. Als er 1957 zum ersten Mal Hiroshima besuchte, sah er Menschen, die sich trotz großer Trauer, unsicherer Lage und Angst vor den zu diesem Zeitpunkt unklaren Auswirkungen eifrig der Wiederbelebung der Stadt widmeten und sich bemühten, wieder einen Alltag zu finden.

Ein japanischer Dolmetscher namens Ogura Kaoru unterstützte ihn nicht nur vor Ort, sondern auch danach durch mühevolle Recherchen, bei denen er die damaligen sozialen Gegebenheiten dokumentierte und er berichtete Jungk in 213 Briefen darüber.

Diese enge Zusammenarbeit und die dadurch entstandene, tiefe Freundschaft zwischen zwei Menschen aus Österreich und Japan, die dasselbe Ziel verfolgten, resultierten im Buch Strahlen aus der Asche. Es soll uns stets an die enorme Wichtigkeit von Frieden und die Arbeit dafür, erinnern.

Text: Yoshie Kagawa
Voiceover: Tanja Malle

Japan im Weltmuseum Wien

Japan im Weltmuseum: Im Lichte der Wiener Weltausstellung 1873

Dienstag, der 29.04.1873. Beginnend mit der Überschrift „Der Orient in der Weltausstellung“ schreibt die Wiener Weltausstellungszeitung: „…noch bauen sie an den Modellen ihrer Häuser, Paläste und Tempel; aber eine Durchsicht der photographischen Abbildungen der Ausstellungs-Gegenstände, welche die Japanesen mitbrachten, läßt uns die Pracht und Schönheit, die technische und künstlerische Vollendung aller Zweige der Gewerbsthätigkeiten errathen, welche eine reiche, wie es scheint, erschöpfende Ausstellung ihrer gesammten Volkswirthschaft der Betrachtung und Erforschung bieten wird.“ 



Die Wiener Weltausstellung 1873

1873 war ein wichtiges Jahr für die Beziehungen zwischen der österreichisch-ungarischen Monarchie und dem Kaiserreich Japan. Es war die erste Weltausstellung, an der Japan als gesamte Nation teilnahm. Die Meiji-Restauration 1868, nur wenige Jahre zuvor, brachte Japan in eine neue Ära und das Land war im Umbruch. Deshalb war es für Japan von großer Bedeutung, sich zur Weltausstellung in Wien von seiner besten Seite zu zeigen. Es war eine Chance, sich auf der Weltbühne zu profilieren. Denn Weltausstellungen waren Großereignisse, zu welchen die Nationen miteinander in verschiedenen Kategorien, wie Kunst und Technik, wetteiferten. In den Weltausstellungen in London 1862 und Paris 1867 waren nur einzelne Regionen Japans vertreten. Deshalb unterschied sich der Auftritt Japans zur Wiener Weltausstellung stark von den vorherigen. Es wurden keine Mühen gescheut, um den japanischen Beitrag zusammenzustellen. Eine beinahe 80-köpfige Kommission brachte über 6600 Objekte nach Wien. Die Anstrengungen lohnten sich. Die japanischen Exponate fanden beim Publikum großen Anklang und wurden mehrfach mit Preisen ausgezeichnet. Die immense Begeisterung hatte zur Folge, dass der Japonismus nun auch in den deutschsprachigen Raum einzog. Vor allem stellte die Weltausstellung ein bedeutendes historisches Ereignis dar, das zum regen kulturellen und wirtschaftlichen Austausch zwischen Japan und Österreich beitrug.

Miniaturlandwirtschaftsgeräte für ein Hausmodell, 1872.
Ausgestellt auf der Wiener Weltausstellung 1873. © Weltmuseum Wien.
Das zentral Objekt im Raum – Das Model einer Daimyō-Residenz

Der Japanraum im Weltmuseum trägt den Namen „1873 – Japan kommt nach Europa“. Sein Hauptaugenmerk ist das Daimyō-Residenzmodell, welches auf der Wiener Weltausstellung 1873 präsentiert wurde. Das Modell wurde von der damaligen Regierung zur Meiji-Zeit eigens für die Weltausstellung in Auftrag gegeben. Die Musashiya-Werkstätte wurde mit dieser Aufgabe vertraut. Das Objekt stellt eine Residenz dar, die Daimyōs (Feudalherrn in der Edozeit)  als Zweitwohnsitz in der Hauptstadt Edo (heute Tōkyō) diente. Kuratorin Bettina Zorn entschied sich 2012, dieses Exemplar als zentrales Objekt der Ausstellung zu nutzen. Bis hin zur tatsächlichen Umsetzung stand noch ein langer Weg bevor.

Das Objekt war nach Jahrzehnten im Depot stark verschmutzt und schwer beschädigt. Bettina Zorns Ansicht nach war es vermutlich nach 1873 nicht mehr ausgestellt worden. Vier Jahre lang musste es restauriert werden, bis seine ursprüngliche Form wiederhergestellt war. Dafür war es notwendig, 14.000 Miniaturziegel verschiedener Art nachzuformen und fehlende Bauteile zu ergänzen. Kuratorin Zorn kaufte persönlich in Japan die passenden Materialien ein. Heute kann man das Modell mit eigenen Augen, wie auch damals die Besucher der Wiener Weltausstellung, begutachten.

Das Modell stellt keine komplette Daimyō-Residenz dar, sondern nur zentrale Architekturteile. Da Teile des Modells offen sind, kann der Besucher auch einen Blick in das Innere des Modells werfen. Im Kinobereich des Raums erzählt Mamba Masayuki, Nachfahre der Musashiya-Werkstätte, in einem Film Genaueres über das Modell. Er betont, dass es sich im Inneren wie im Äußeren durch seine Detailgetreuheit auszeichne.

Der Großteil der Japansammlung wurde im 19. Jahrhundert zusammengetragen. Deshalb repräsentiert diese vor allem die Edo-Zeit und auch einen Abschnitt der Meiji-Zeit. Aus diesem Grund ist eine Raumhälfte der Edo-Zeit und die andere der Meiji-Zeit gewidmet. Das verbindende Element stellt das Residenzmodell dar. Kuratorin Zorn begründet das damit, dass dieses Modell zwar zu Beginn der Meiji-Zeit in Auftrag gegeben wurde, 

Das Modell einer Daimyō-Residenz. © Weltmuseum Wien.
Toilettenkästchen mit Spiegelständer und Zubehör, mittlere Edo-Periode. © Weltmuseum Wien.

aber das Lebensgefühl  einer edozeitlichen Residenz verkörpere. In der der Edo-Zeit verschriebenen Hälfte des Raums wird anhand der Objekte zur Schau gestellt, wie sich das Leben in so einer Residenz abgespielt haben könnte. Für das öffentliche Leben stehen unter anderem die Samurai-Rüstungen und Schwerter, aber auch die Nō-Theaterrequisiten. Für das private Leben stehen diverse Schminkutensilien und Vergnügungsspiele. Diese Spiele fungierten als Gedächtnisspiele und können als eine Art Memory verstanden werden.



Riechspielset – Die Kunst des Duftes

Ein Beispiel der Gedächtnisspiele stellt das Riechspiel dar. In dieser Form der Unterhaltung geht es um darum, bei einer Räucherung verschiedener Hölzer diese am Geruch zu erraten. Man nennt es auch kōdō, die Kunst des Duftes. Wenn man sich einer besonderen Herausforderung stellen wollte, wurden sogar Hölzer gemischt. Außerdem wurden auch Hölzer aus Süd- und Südostasien verwendet. Man spielte in zwei Parteien gegeneinander und dabei wurde mit Figuren gezogen. Diese Spielrunden konnten sogar ein paar Stunden dauern. Im Weltmuseum befinden sich insgesamt vier dieser Sets. Die Bogenschießfiguren sind dem japanischen Bogenschießen, kyūdōund die Pferdefiguren dem Pferderennen nachempfunden.

Riechspielsets, späte Edo-Periode. © Weltmuseum Wien.
Zwei Große Sammler – Heinrich von Siebold und Herzog Franz Ferdinand

Das Weltmuseum ist stolzer Besitzer einer Ostasiensammlung im Ausmaß von ungefähr 28.500 Objekten. Davon sind allein ca. 15.000 japanischer Herkunft. Zwei Stützpfeiler der japanischen Sammlung sind die Schenkungen von Erzherzog Franz Ferdinand und Heinrich von Siebold. Deren Beiträge gingen Ende des 19. Jahrhunderts an die ethnografisch-anthropologische Abteilung des k.u.k. Naturhistorischen Museums und machen den Großteil der heutigen Japansammlung im Weltmuseum aus.

Ainu-Schmuckscheibe, späte Edo-Periode. Sammlung Heinrich von Siebold. © Weltmuseum Wien.

Heinrich von Siebold war Sohn des deutschen Arztes Phillip Franz von Siebold. Er und sein Bruder Alexander von Siebold lebten und arbeiteten viele Jahre in Japan. Sie beide waren 1873 als Dolmetscher zur Wiener Weltausstellung für die japanische Delegation tätig. Heinrich von Siebold fungierte in Japan als Dolmetscher für die österreichisch-ungarische Gesandtschaft in Tōkyō und diente unter anderem auch als Berater für Erzherzog Franz Ferdinand hinsichtlich japanischer Sammlerobjekte. 

Des Weiteren beriet er österreichisch-ungarische und deutsche Museen in diesem Bereich. Seine Japansammlung hat er ungefähr zwischen 1873 und 1896 zusammengetragen. 1896 verließ er Japan und kehrte mit ihr zurück nach Europa. Eigentlich wollte er seine Sammlung an das k.u.k Naturhistorische Museum verkaufen. Der damalige Kustos, Franz Heger, versuchte sie für die ethnografisch-anthropologische Abteilung des Museums zu erwerben, aber die Geldmittel waren dafür nicht vorhanden. So fand ein Tausch statt. Siebold wurde vom Kaiser der Freiherrentitel als Gegenleistung für die Schenkung an das Museum verliehen. Viele der heute ausgestellten Japanobjekte stammen aus seiner Sammlung. Darunter seine Studien und Sammlerobjekte zu den Ainu, den im Norden lebenden Ureinwohnern Japans.

Repetiergewehr, 1889. Geschenk an Erzherzog Franz Ferdinand. © Weltmuseum Wien.

Seine Passion für das Jagen und seine Begeisterung für Waffen war dem japanischen Kaiser bekannt. Diese Interessen schlugen sich auch in Franz Ferdinands Sammlerleidenschaft nieder. Deshalb übergab ihm der japanische Kaiser am 19.08.1893 ein Gewehr als Abschiedsgeschenk.



Der Anime-Film ‚Miss Hokusai‘ – Tradition neu interpretiert

Nachdem Rundgang im Japansaal des Weltmuseums, kann man es sich im Kinobereich gemütlich machen und einen Einblick die Welt des Anime bekommen . Dort werden Filmausschnitte von „Miss Hokusai“ (2015) gezeigt. Er erzählt die Geschichte von O-Ei, der Tochter von Hokusai Katsushika. Viele wissen nicht, dass sie ihrem Vater oft bei seinem künstlerischen Schaffen geholfen hat.

Die Absicht von Kuratorin Zorn war es, einen Bezug der Sammlung in das 21. Jahrhundert zu finden und zu zeigen, wie sich Tradition weiterentwickelt. Anschaulich wird dies anhand der „Bildrolle 100 Geister“, auf der Geister-, Dämonen- und Monstergestalten der japanischen Mythologie dargestellt sind. Darin befindet sich eine Geistergestalt namens nokebuki, welche auch in dem Film Miss Hokusai vorkommt. Da Hokusai auch bekannt für seine Mangas war, steht er mit der langen Tradition der Manga und der daraus entwickelten Anime-Filme in Verbindung. Dies ist ein weiterer Bezugspunkt von Miss Hokusai zum Japanraum.

Durch die Vielfalt der Objekte und den Kinobereich begibt man sich auf eine Reise von der Edo-Zeit bis in die Gegenwart. Die Ausstellung ermöglicht durch die Kombination aus Exponaten, Ausstellungstexten, digitalen Displays mit vertiefenden Informationen und Bildmaterial, und dem Kinobereich, einen vielschichtigen Zugang zur japanischen Kultur und Geschichte. Darüber hinaus ist es auch ein Stück der eigenen Geschichte. Man kann Ausstellungsstücke sehen, die Teil eines internationalen Großereignisses in Wien waren und diese selbst betrachten. Es ist ein Blick in die gemeinsame Vergangenheit und eine Exploration auf vielen Ebenen.



Kuratorin Bettina Zorn

Dr. Bettina Zorn studierte Archäologie, Sinologie, Ethnologie, Biologie und Japanisch. Sie nahm an mehreren Ausgrabungen in China teil. Außerdem ist sie ausgebildete Bildhauerin. on 1994 bis 2004 war sie bereits Kuratorin der Ostasiensammlung. Zwischenzeitlich leitete sie ein archäologisches Projekt des deutschen Ministeriums  für Bildung und Forschung in Zusammenarbeit mit der Volksrepublik China. Seit 2009 ist Dr. Zorn wieder zurück in Wien und als Kuratorin des Ostasienbereichs tätig.



***

Es folgt: Pressetext (verfasst im November 2018

Japan im Weltmuseum

Im Lichte der Wiener Weltausstellung 1873

Das Weltmuseum ist stolzer Besitzer einer Ostasiensammlung im Ausmaß von ungefähr 28.500 Objekten. Davon sind alleine ca. 15.000 japanischer Herkunft. Zwei Stützpfeiler der japanischen Sammlung sind die Schenkungen von Erzherzog Franz Ferdinand und Heinrich von Siebold, der als Diplomat und Übersetzer an der österreich-ungarischen Botschaft in Tōkyō tätig war. Deren Beiträge gingen Ende des 19.Jahrhunderts an den Vorgänger des Weltmuseums und machen den Großteil der heutigen Sammlung aus. Die Ausstellung bietet eine große Diversität unterschiedlicher Artefakte, von Samurairüstungen und Schwertern bis hin zu edlen Teeschalen und Schminkutensilien. Das Hauptaugenmerk des Japanbereichs bildet das beeindruckende Modell einer Daimyō-Residenz, welches sogar in der Weltausstellung 1873 in Wien zu sehen war.

Dass bereits in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts solch eine beachtliche Menge an japanischen Objekten zusammengetragen wurde, kann als Ergebnis des damaligen Japan-Booms verstanden werden.

Dieser begann mit der Weltausstellung 1873 in Wien. Nach einer fast 250 Jahre langen Isolation, welche mit der Meiji Restauration 1868 endete, sah Japan in der Wiener Weltausstellung eine Chance sich auf der Weltbühne zu profilieren. Mit erheblicher Planung und großen Mühen bereitete man sich vor, und mit viel Erfolg. Die japanischen Exponate fanden großen Anklang. Zahlreiche Stücke wurden verkauft und Japan wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Die immense Begeisterung der Wiener Kritiker und des Publikums hatte unter anderem zur Folge, dass der Japonismus nun auch in den deutschsprachigen Raum einzog. Vor allem stellt die Weltausstellung einen wichtigen Faktor dar, der zum regen kulturellen und wirtschaftlichen Austausch zwischen Japan und Österreich beitrug.

Mit Unterstützung von Dr. Bettina Zorn, Kuratorin des Ostasienbereichs im Weltmuseum, tauchen wir in die Geschichte dieser wundervollen Sammlung ein.

Text: Claudia Stoica

Geschichte der Wiener Japanforschung

„Ana kriagt a Inschtitut.“

Wir schreiben das Jahr 1959. Bundeskanzler Julius Raab tritt vor eine Pressekonferenz nach einem Staatsbesuch in Japan. Ein Reporter fragt: „Was hat der Japanbesuch für Ergebnisse mit sich gebracht?“ Raab, der an seiner Virginia-Zigarette zieht, antwortet: „Ana kriagt a Inschtitut.“ Es sollte jedoch noch weitere sechs Jahre dauern, bis das versprochene Institut tatsächlich (wieder) zustande kam und die Japanforschung wieder ihren regulären Betrieb, unabhängig von anderen Instituten, aufnehmen konnte.

Was ist die wiener Japanologie?

Die Japanologie ist heute die wichtigste universitäre Fachrichtung für die soziale und kulturelle Auseinandersetzung mit dem japanischen Inselreich, nicht nur in Österreich. Die Anfänge des Institutes in Wien reichen ins Jahr 1938 zurück. Der Philatelist und Großindustrielle Baron Mitsui Takaharu trat im Auftrag des japanischen Außenministeriums an mit Japan befreundete Länder heran, um dort die Japanforschung zu fördern. Dies betraf Wien, Prag und Rom (in Deutschland gab es mit Berlin, Leipzig und Hamburg bereits mehrere Institute). Bereits im Austrofaschismus hatte Mitsui die Gründung eines Japan-Instituts an der Universität Wien zugesagt, umgesetzt wurde dies jedoch erst im Nationalsozialismus. Im Rahmen der Takahara-Mitsui-Stiftung finanzierte der japanische Baron Institut, Bibliothek und Gehälter.

Der erste Lehrstuhl für Japanforschung in Wien kam unter dem japanischen Soziologen und Ethnologen Oka Masao zustande, dem späteren Begründer der japanischen Kulturanthropologie. Das Institut nahm am 1. April 1939 offiziell seinen Lehrbetrieb auf. Oka übernahm die Leitung, ihm stand als Assistent Alexander Slawik zur Seite, der selbst Ostasienwissenschaften studiert hatte. Da es damals jedoch Sinologie und Japanologie noch nicht gab, konnte er nicht dissertieren. Während des Krieges ging Oka nach Japan zurück und gründete dort ein Institut für die Völker unter japanischer Herrschaft. Slawik wurde von der SS dazu beauftragt, japanische Nachrichten zu entschlüsseln und zu übersetzen. Da er nur für den Geheimdienst tätig war, erhielt Slawik nach dem Krieg eine Amnestie und durfte im universitären Bereich weiterhin unterrichten und tätig sein.

Der emeritierte Univ.-Prof. Dr. Sepp Linhart erzählt über die Involviertheit der Japanologie vor und während dem zweiten Weltkrieg.

Durch das Wegfallen der finanziellen Unterstützung aufgrund des Krieges musste das Institut den Betrieb im Jahr 1944 einstellen. Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dem Beginn des Kalten Krieges veränderte sich mit der Situation der Weltpolitik auch jene des Reisens. „Aufgrund des kalten Krieges war es nicht gestattet, über russisches Gebiet zu fliegen. Entweder man flog über den Nordpol, wofür man sogar eine Urkunde erhielt, oder man fuhr mit der transsibirischen Eisenbahn.“, so Professorin Ingrid Getreuer-Kargl.

Ein großer Unterschied zur heutigen Situation war der Zugang zu Informationen aus Japan. „Direkte Informationen aus Japan zu bekommen, war zwar nicht schwer, jedoch sehr kosten- und zeitaufwendig. Das konnten sich nur wenige Leute leisten. Man musste in irgendeiner Form von beruflicher Tätigkeit involviert sein, um an Informationen aus erster Hand zu kommen. Andere Quellen waren Bücher und audio-visuelle Medien, wie CDs, Kassetten oder Filme. Jedoch war die Qualität dieser sehr unterschiedlich. Dank des Internets und der Reisemöglichkeiten hat sich vieles, was die Japanologie schwer und kompliziert gemacht hat, im Laufe der letzten dreißig Jahre verändert“, so Professor Wolfram Manzenreiter über die Probleme und die Entwicklung innerhalb der Wiener Japanologie in den 1980er Jahren.

ANA KRIAGT A „INSCHTITUT“

Nach dem Ende des Krieges wollten die Indologie und die Orientalistik, zwei weitere geisteswissenschaftliche Ausrichtungen, das Erbe der Wiener Japanologie antreten. Alexander Slawik stellte sich vehement dagegen und erreichte, dass die Japanologie in die Wiener Völkerkunde eingegliedert wurde. 1965 wurde die Japanologie unter der Leitung von Alexander Slawik wieder unabhängig von der Völkerkunde. Slawik leitete das Institut für die nächsten sechs Jahre. Sein Nachfolger wurde der Ethnologe Josef Kreiner, der nach der Pensionierung Slawiks die Institutsführung bis 1978 übernahm. Dessen Nachfolger wurde 2012 schließlich Wolfram Manzenreiter, der seitdem der Leiter der Wiener Japanologie ist.

Professor Josef Kreiner 1965 in Kawei, Fukui. © KHM-WMW
Ein hölzerner Lockfisch. An den Schmalseiten je 2 Flossen aus Rinderhorn sowie vorn und hinten kleine runde Einlagen aus Perlmutter. Schwanzflosse aus dunklerem Holz. © KHM-WMW

Ein Teil der Sammlung stammt von Professor Josef Kreiner. Er sammelte über die Jahre hauptsächlich landwirtschaftliche Geräte für seine Forschungen. Die Sammlung befindet sich im Weltmuseum Wien, einzelne Exponate sind in der Japanschau zu sehen.

Die Japanologie besitzt auch eine Sammlung an Objekten, welche durch Schenkungen von japanischen Privatpersonen und Institutionen zustande gekommen ist. Die Sammlung beinhaltet Dokumente, Küchengeräte, Alltagsgegenstände und vieles mehr.

Ein Bambuskorb aus der Sammlung Kreiners, welcher als Behälter für Essen aufs Feld mitgetragen wurde. © KHM-WMW

Die popularität der japanologie

Das ansteigende Interesse am Japanologie-Studium hat mehrere Ursachen. Während Populärkultur wie Anime, Manga und Popmusik ein Teil davon ist, waren auch die Einführung des Bachelorstudiums, was die Kombination von zwei Studien erlaubte, und die positive Wirtschaftssituation der 1980er Jahre Gründe für den Popularitätsanstieg. „Japanische Wirtschaft, japanisches Management waren eine Zeit lang in. Bis zur Wirtschaftskrise waren diese Gründe für die Studienwahl sehr dominant, man hat berufliche Erwartungen an das Fach Japanologie gestellt.“ Doch dies war vor über zwanzig Jahren. Welche Erwartungen kann man heute an das Studium Japanologie stellen? „Heute ist Japanologie ein Fach, das nicht ganz dem Zeitgeist entspricht. Ich sehe die Japanologie primär nicht als berufsvorbereitend.“, so Ingrid Getreuer-Kargl. Ein wissenschaftliches Fach, das nicht darauf ausgelegt ist, nach dem Bachelorabschluss den Arbeitseinstieg zu erleichtern, und das trotzdem nicht an Popularität zu verlieren scheint – das ist die Studienrichtung Japanologie an der Universität Wien.

Univ.-Prof. Dr. Ingrid Getreuer-Kargl über das Studium und die Erwartungen der Japanologie.
Die Bedeutung der Wiener Japanologie

Das Fach Japanologie wird von Personen, die sich nicht direkt mit dem Fach beschäftigen, manchmal belächelt. In Gesprächen mit Student*innen und Freund*innen, die ehemalige Studierende der Japanologie waren, habe ich erfahren, dass sie meist von Beginn des Studiums an bis zum Abschluss und sogar danach, von Verwandten, Freunden und Fremden unhöfliche Bemerkungen über ihr Studium anhören mussten. Wer sich da herabwürdigend äußerte, wusste wohl nichts über die Leistungen der Japanologie für die Universität und für Österreich! So tragen die Forschungen des Instituts für Japanologie wesentlich zum Wissen über Japan in der Bevölkerung bei, und sind da-

Der japanische Garten vor der Wiener Japanologie, dem Herz der Japanforschung © Pucher Alexander

zu angetan, etwaige Japanklischees zu korrigieren. Für die Universität ist damit u.a. die Anzahl an Austauschprogrammen gestiegen, verteilt über ganz Japan. Während man in den früheren 1980er Jahren kaum Partnerschaftsabkommen hatte, änderte sich das in den 1990ern schlagartig. Wolfram Manzenreiter hakt an diesen Punkt ein und erzählt: „Damals ging ein Großteil der Studierenden an die städtische Universität Yokohama. Später schafften wir es, ein Abkommen mit der Tōkyō Metropolitian University abzuschließen. Es war ein großes Interesse der Japanologie, Studierenden einen Studienaufenthalt zu ermöglichen. Dies wurde anhand von persönlichen Kontakten bewerkstelligt, hauptsächlich über Gastprofessor*innen (Germanisten) die an der Japanologie tätig waren, weshalb viele Abkommen mit der Wiener Japanologie mit germanistischen Instituten in Japan zustande kamen.“

Univ.-Prof. Mag. Dr. Wolfram Manzenreiter erzählt seinen universitären Werdegang, vom Anfang des Japanologiestudiums bis zum Professor.

Der Austausch überstieg sogar bald alle Erwartungen: Ab den 2000er Jahren kamen vermehrt Anfragen von japanischen Universitäten bezüglich Partnerschaftsprogrammen. Der Grund war die Internationalisierung japanischer Universitäten durch Auslandsreisen ihrer Studierenden. Doch es gab Probleme dabei, weshalb man den Spieß dann irgendwann umdrehte und ausländische Studierende nach Japan einlud. Wolfram Manzenreiter fügte hinzu, dass „wir inzwischen so viele Anfragen von japanischen Universitäten bekommen, dass wir nicht einmal mehr allen nachkommen können und an die Abteilung für internationalen Austausch weiterleiten müssen. Wir waren sogar zu fleißig.“



Die Forschungsprojekte der wiener Japanologie

An der Wiener Japanologie, dem einzigen japanologischen Institut in ganz Österreich, laufen derzeit zahlreiche Projekte in den Kultur-, Sozial- und Geschichtswissenschaften.

Eines dieser Projekte ist das seit 15. März 2004 andauernde Projekt zu Ukiyo-e Karikaturen zwischen 1842 und 1905, unter der Leitung von Prof.em. Sepp Linhart und der Mitarbeit von Noriko Brandl. Dieses Projekt wird vom Fond zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) finanziert. Ziel ist die Erstellung einer Datenbank aller Karikaturen auf kommerziellen Holzschnitten von 1842 bis 1905. An weiteren Kulturprojekten arbeitet unter anderem auch Professorin Ina Hein. Sie erforscht die Darstellung von Trauma (durch Naturkatastrophen oder menschlichen Versagen) in japanischer Literatur und Film. Ein weiteres ihrer Projekte ist die Darstellung der südlichsten Präfektur Japans, Okinawa, in Filmen und Literatur innerhalb Japans

In den Bereich der Sozialforschung fallen die Arbeiten von Ralph Lützeler und Barbara Holthus. Sie erforschen das Elternwohl in verschiedenen Regionen Japans. Professor Wolfram Manzenreiter setzt sich in seiner Forschung unter anderem auch mit dem Konzept des Glücks in Japan auseinander.

Ingrid Getreuer-Kargl beschäftigt sich auch in gegenwärtigen Projekten mit den 150-Jahre Beziehungen zwischen Österreich und Japan und der Transkription des Freundschaft- und Handelsvertrages von 1869.



ASO 2.0 – Regionales Wohlbefinden in Japan

Das Herzstück und Hauptprojekt der Wiener Japanologie ist derzeit jedoch Aso 2.0. Die Japanologie befasst sich in diesem Projekt mit der Erforschung des ländlichen Raums in Japan, genauer gesagt der Aso-Region, einer Umgebung auf Kyūshū, einer Insel im westlichsten Teil des Landes.

Der 1592 Meter hohe Aso Vulkan, der nach wie vor aktiv ist. © Ralph Lützeler

Laut der Definition der offiziellen Homepage des Projekts ist Aso 2.0 „ein Anschlussprojekt des in den 1960er-Jahren durchgeführten Aso-Projekts der Wiener Japanologie und es untersucht auf soziologische, politikwissenschaftliche, anthropologische und humangeografische Art und Weise die Region.“

„[Der Grund, warum ausgerechnet die Region Aso ausgewählt wurde], hängt damit zusammen, dass Slawik sich für altjapanische Geschichte interessierte […] und diese altjapanische Geschichte spielte sich hauptsächlich auf Kyūshū ab. In diesem Zusammenhang spielen die Aso-Region und der Aso-Schrein eine große Rolle“, erzählt Professor Sepp Linhart über die Ursprünge des Projekts. Er selbst war zu dem Zeitpunkt, als Aso das erste Mal unter-

sucht wurde, an einem Projekt in Hokkaidō beschäftigt und veröffentlichte nur einen Aufsatz über Aso. Für Wolfram Manzenreiter hat das Aso-Projekt große Bedeutung: „Die Aso-Forschung, das Projekt an und für sich, machte die Wiener Japanologie zu etwas Besonderem. Sie verlieh dem Institut einen Sonderstatus, da es das erste große Institutsprojekt war.“ Josef Kreiner, der Nachfolger Slawiks, war auch ein Teil des ersten Aso-Projekts und war auch am zweiten Projekt unter Wolfram Manzenreiter beteiligt.

Das Projekt Aso 2.0 begann bereits 2015. Die Besonderheit dabei ist, dass auch Studierende in das Projekt aufgenommen wurden und bei der Forschung als gleichwertige Forscher*innen mitarbeiteten. Der Sinn des neuen Projekts beinhaltete auch das Prinzip des „revisiting“ (engl. für „etwas erneut besuchen“), also der erneuten Untersuchung eines Forschungsgegenstandes nach gewisser Zeit. So wurde Aso an der Wiener Japanologie nach vielen Jahren neuerlich zum Forschungsgegenstand. „Die erneute inhaltliche Auseinandersetzung [mit der Region] war logischerweise auch wichtig für das Folgeprojekt“, erklärt Wolfram Manzenreiter.

Im Rahmen des Projekts Aso 2.0 finden regelmäßige Aufenthalte in der Region statt, was dazu führte, dass im Sommer 2018 erstmals eine Exkursion mit Studierenden der Japanologie durchgeführt wurde. Involviert ist auch die Universität Kumamoto, und so gibt es gemeinsame Workshops in Wien und Japan.



Wünsche für die Zukunft

2019 begehen wir das 150-jährige Jubiläum der Beziehungen zwischen Japan und Österreich. Und wer weiß? Vielleicht werden künftige Generationen von Japanologie-Student*innen eine Website zum 200-Jahr-Jubiläum gestalten? Ich habe meine Gesprächspartner*innen

Die Stadt Aso in Kumamoto, seit Jahren ein Teil der Wiener Japanforschung. ©Ralph Lützeler

jedenfalls auch nach ihren Wünschen und Hoffnungen für die Zukunft des Instituts und der Japanforschung gefragt. Im Rahmen des Projekts Aso 2.0 finden regelmäßige Aufenthalte in der Region statt, was dazu führte, dass im Sommer 2018 erstmals eine Exkursion mit Studierenden der Japanologie durchgeführt wurde. Involviert ist auch die Universität Kumamoto, und so gibt es gemeinsame Workshops in Wien und Japan.

So unterschiedlich die Antworten auch ausfielen – hoffnungsfroh sind sie alle: Wolfram Manzenreiter, der über das große Interesse an der Japanologie hocherfreut ist (bis zu 400 neue Studierende pro Jahr) hofft, „dass dieser positive Trend des Interesses an Japan in Österreich für weitere Generationen anhält.“

Nachdem sie ein wenig nachgedacht hatte, äußerte auch Ingrid Getreuer-Kargl ihr Anliegen: „Weiterhin freundschaftliche Beziehungen zwischen Japan und Österreich.“

Und Sepp Linhart, wie aus der Pistole geschossen und mit einem Lachen: „Dass es auch weiterhin einen Direktflug zwischen Wien, Tōkyō und Ōsaka gibt!“

Text: Alexander Pucher

Dōmo Arigatō, Mr. Roboto

Österreichisch-Japanische Kooperationen auf dem Gebiet der Robotik

Robotik ist ein in den letzten Jahren rasch wachsender Bereich der Technik, der auf großes Forschungsinteresse auf der ganzen Welt stößt. Japan zählt zu einem der führenden Länder in der Robotik, was es zu einem attraktiven Handels- und Forschungspartner auf dem Gebiet macht.

Work-in-progress: Seite in Arbeit

In Österreich wird Robotik ebenfalls großgeschrieben. Österreich gehört zu einem der führenden Länder in Europa, was die jährlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung betrifft. Laut einem Bericht des Institutes für Technikfolgen-Abschätzung liegen die Stärken Österreichs in diesem Forschungsbereich vor allem in den hervorragenden Ausbildungs- und Spezialisierungsmöglichkeiten. Es gibt großes Interesse einzelner Forschungsinstitute und enge Zusammenarbeit mit österreichischen Klein- und Mittelunternehmen.

Dank des großen Interesses der beiden Länder an der Robotik-Forschung entstanden über die Jahre Partnerschaften zwischen japanischen und österreichischen Universitäten und Firmen. Die TU Wien und deren Japan Austria Science Exchange Center (JASEC), die Ars Electronica und die Johannes Kepler-Universität in Linz stehen in engem Austausch mit japanischen Institutionen, wie beispielsweise dem Nara-Institute of Science and Technology und der Universität Tōkyō. Selbst die Regierungen der beiden Länder arbeiten eng zusammen mit dem gemeinsamen Ziel, die Forschung auf dem Gebiet der Robotik voranzutreiben. Österreichische Firmen, wie die Ferrobotics Compliant Robot Technology GmbH, exportieren sogar ihre Technologien nach Japan.

Alexander Kuhn stellt Ihnen an dieser Stelle aktuelle Forschungen und Kooperationen im Bereich der Robotik anhand von Experten-Interviews und Recherche sowohl auf japanischer als auch österreichischer Seite vor.

Text: Alexander Kuhn

Skip to content