Alltag zwischen Schreiben und Familie
Milena ist Tochter einer japanischen Mutter und eines österreichischen Vaters. Sie wuchs in St. Pölten auf und lebt jetzt mit ihrer Familie in Wien. Sie ist Schriftstellerin und arbeitet fleißig. Im Februar 2018 erschien ihr Roman Herr Katō spielt Familie im Verlag Klaus Wagenbach. Für Milena ist momentan eine Zeit der Recherche, eine Zeit für ganz viel Lektüre. Sie liest fast ein Buch pro Tag und befindet sich mitten im Prozess der Themenfindung. Das bedeutet aber nicht, dass sie nicht schreibt, erklärt sie: »Ich bin schon in einem Schreibprojekt, aber was ich meine, ist dieser große Unterschied, wenn man dann wirklich ganz klar an einem Roman sitzt, wo man weiß: Okay, das ist es jetzt! Oder ob man eben einfach nur schreibt und Dinge ausprobiert. Also ich bin jetzt eher in diesem zweiten Bereich.«
Milena ist ihre Familie sehr wichtig. Ihr Alltag sieht aktuell so aus, dass sie morgens erstmal ihren fünfjährigen Sohn in den Kindergarten bringt. Danach geht sie Laufen, kommt nachhause und beginnt ihre Arbeit. »Das zieht sich dann über den ganzen Vormittag hin, bis er wieder vom Kindergarten zurückkommt, unser Sohn. Dann bin ich aber auch auf der ganz anderen Seite meines Lebens«, sagt Milena, »nämlich bin ich dann Mutter, bin ich Hausfrau.«
Japanisch. Eine emotionale, kindliche Sprache
In Milenas Leben spielt die japanische Sprache eine bedeutende Rolle. Das Japanische hat in ihr mit einem emotionalen Bereich zu tun. Sie empfindet die Sprache sehr warm und lieblich klingend. »Ich finde, dass das Japanische etwas sehr angenehm – und ich meine das wirklich durchwegs positiv – etwas angenehm Kindliches hat. Vielleicht ist es auch deshalb, weil es in meiner Kindheit so präsent war, dass ich das unbedingt damit verbinde«, erzählt sie. Als Beispiele nennt sie das Lautmalerische, die ganz vielen Ausdrücke für den fallenden Regen, und die diversen Verkürzungs-, Verniedlichungs- und Verkleinerungsformen. Das eigne sich in sehr für Kinder. »Das war auch wirklich mein erster Impuls«, sagt Milena, »wir hatten uns natürlich die Frage gestellt: Okay, unser Sohn kommt jetzt auf die Welt. Wie werden wir ihn sprachlich erziehen? Machen wir es nur einsprachig, oder machen wir es doch mehrsprachig?«
Milena ist in Österreich mit Deutsch und Japanisch aufgewachsen. Sie hat in ihrer Kindheit viele Sommer in Japan verbracht und ist bis heute jedes Jahr für ein paar Wochen dort. Sie hat aber nie längere Zeit am Stück in Japan gelebt und kann nur Hiragana, Katakana und einfache Kanji lesen. In Wien fehlt ihr der Kontakt zu den japanischen Schriftzeichen und die Notwendigkeit zum Lernen komplexer Kanji.
Bevor ihr Sohn zur Welt kam, hatte sie Bedenken bezüglich der sprachlichen Erziehung ihres Kindes: »Trau‘ ich mir das zu? Auch, wenn mein Japanisch nicht perfekt ist, dass ich ihm Japanisch beibringe?« Dann wurde das Kind geboren und es war für sie vollkommen klar, dass sie mit ihm auf Japanisch sprechen muss. »Ganz einfach, weil das irgendwie auch mein Zugang ist zum Kind. Mir fällt es fast ein bisschen einfacher auf Japanisch als auf Deutsch«, sagt Milena. Es erscheint ihr etwas merkwürdig, denn das Deutsche habe auch sehr große Qualitäten. »Man kann Dinge auf Deutsch finde ich sehr klar und genau ausdrücken. Das ist etwas, was ich im Deutschen als Autorin natürlich sehr, sehr schätze«, erklärt sie. Das Japanische sei hingegen schwammiger, was die Sprache wiederum auch sehr sympathisch mache.
Schauplatz Japan
Japan und Japanisch kommen in allen vier Büchern von Milena vor, in den letzten beiden Romanen – Ich nannte ihn Krawatte und Herr Katō spielt Familie – stärker als zuvor. Hier ist der Schauplatz in Japan angesiedelt. Die Figuren sind Japaner*innen und agieren als solche. Sie weisen bestimmte, auch kulturell geprägte Verhaltensweisen auf, die darauf hindeuten, dass sie sich in Japan befinden. Milena beschreibt das Japan in ihren Büchern als einen literarisch-poetischen Raum, in den sie sich mit ihren Figuren begibt, wo sie diese mit ihren ganz persönlichen japanischen Merkmalen ausstattet. Auf der anderen Seite geht es in den Romanen auch sehr stark um universelle Themen. »Es geht um ganz allgemein menschliche Themen, um existentielle Themen, um Einsamkeit, um Außenseitertum«, erklärt Milena. Folglich könnten die Geschichten auch hier spielen. »Das ist mir auch wichtig«, führt sie weiter aus, »dass der Leser es für sich hierher transportieren kann, dass er es zu sich holen kann, dass er sich dem auch nahe fühlen kann und nicht das Gefühl bekommt, er liest jetzt ein exotisches Buch über ein exotisches Land.« Milenas Werk zielt damit nicht auf eine Leseart ab, bei der die Leser*innen nur nach Japan schauen und die Probleme allein dort und nicht auch hier bei sich verorten können.
Mit Themen wie Hikikomori in Ich nannte ihn Krawatte, RHS (Retired Husband Syndrom) und der Rent a Family Industrie in Herr Katō spielt Familie greift Milena spannende und zugleich kritische Phänomene im Zusammenhang mit Japan heraus. Damit möchte sie ihrem deutschsprachigen Lesepublikum jedoch kein bestimmtes Japanbild vermitteln. Sie möchte auch nicht auf bestimmte Aspekte von Japan aufmerksam machen. Vielmehr sieht sie die Phänomene in einem globalen Zusammenhang. Für Milena deuten solche Phänomene auf eine bestimmte soziale Befindlichkeit hin: »Und zwar darauf, dass es in unserer Gesellschaft viele Lücken gibt. Dass beispielsweise im Falle des Hikikomori das Problem nicht unbedingt in ihm, sondern in der Gesellschaft zu sehen ist. Dass es für ihn in der Mitte der Gesellschaft keinen Platz gibt. Er rausgefallen ist, aber eigentlich auch ausgestoßen wurde«, sagt sie. Das spannende an Japan findet Milena dabei, wie schnell man dort bei der Hand ist mit Namen für gewisse Dinge, wofür im Deutschen noch keine Bezeichnung existiert. Sie bemerkt, dass es auch hier junge Menschen gibt, die die Schule abbrechen und sich zuhause versteckt oder eingeschlossen halten. Zwar gibt es sie in einer niedrigeren Zahl unter anderen sozialen Bedingungen, aber es handele sich keineswegs um Phänomene, die nur in Japan anzutreffen seien.
»Ich glaube, Japan ist einfach auch eine ganz interessante Folie. Das ist ja irgendwie auch ein Land, das auch für mich immer irgendwo geheimnisvoll ist oder undurchdringbar erscheint«, meint Milena, »wo es Dinge gibt, über die man sich wundern muss, über die man staunt, die man so als Europäer nicht zu kennen meint, obwohl man sie doch irgendwie kennt.« Sie beschreibt Japan als einerseits fremd, andererseits aber auch als extrem vertraut und nahe. Bei Japan sei eine andere Nähe da als beispielsweise zu Indien. »Viellicht ist es das«, sagt Milena, »was es zu einem interessanten literarischen Ort macht. Ich blicke zwar aus der Ferne auf Japan, gleichzeitig kommt mir vor, ich sehe manche Dinge ganz einfach schärfer.«
Übersetzung und Reise
Milenas deutschsprachiger Roman Ich nannte ihn Krawatte wurde auch ins Japanische übersetzt und ist 2018 als Boku to Nekutai-san ぼくとネクタイさん im Verlag Ikubundo in Japan erschienen. Für Milena war es eine große Freude und seit langer Zeit auch ein großer Wunsch, dass das Buch ins Japanische übertragen wird. Sie hat Freunde und Familie in Japan, für die es schön ist, wenn sie endlich etwas von ihr auf Japanisch lesen können. »Es ist für mich eine schöne Art der Kommunikation mit ihnen«, sagt Milena.
Wenn Milena in Japan ist, ist es für sie ein privater Urlaub, der manchmal auch mit Arbeit verknüpft ist. Bei ihrem letzten Besuch in Japan konnte sie beispielsweise die japanische Übersetzung präsentieren. Sie las an der Österreichischen Botschaft und auch an verschiedenen Universitäten. Ihre Zeit in Japan ist meistens sehr begrenzt, meist nur zwei bis drei Wochen. In dieser kurzen Zeit genießt sie das Land, das gute Essen und die japanische Gastfreundlichkeit. Recherche für ihre Bücher betreibt sie in Japan auf eine ganz natürliche Art und Weise. Sie nimmt das Atmosphärische in sich auf und saugt die Stimmung in sich ein, so wie sie es auch hier tut.
»Es ist ja doch auch so ein gewisses Wagnis«, bemerkt Milena, »ich schreibe da als österreichische, deutschsprachige Autorin über ein japanisches Thema, ohne aber eigentlich jemals in Japan gelebt zu haben. Ohne also wirklich die japanische Gesellschaft in aller ihrer Tiefe zu kennen.« Sie habe sich gewisse Motive auch geborgt und ins Literarische verarbeitet. Dann stellte sich ihr die Frage: »Wie kommt das dann aber genau in Japan an? Wird das vielleicht nicht gelesen als irgendwie vollkommen schräges Buch, das aus einer fremden Perspektive heraus das Eigene beleuchtet und dadurch aber befremdlich ist?« Sie selbst würde eine solche Schreibweise als Leserin zwar sehr schätzen und spannend finden, aber dennoch hatte sie Bedenken, wie das Buch wohl in Japan ankommen wird.
Letztlich waren ihre Sorgen aber unbegründet. Sie habe bisher nur positive Stimmen aus Japan über ihren Roman gehört. Es gibt auch Besprechungen in japanischen Literaturzeitschriften, kürzlich beispielsweise inすばるSubaru. »Es wurde eigentlich auch mit großem Lob bedacht«, verrät Milena, »was mich dann auch erleichtert hat und bekräftigt hat indem, dass es möglich ist, so etwas zu machen.« Es bleibt gespannt zu erwarten, mit welchen literarischen Werken Milena uns künftig überraschen wird. »Ich warte auf das neue Jahr, dann werde ich wieder durchstarten. Ich hab‘ auch schon eine Idee, wie das zu machen sein wird«, kündigte sie Dezember 2018 an.